Die achte Woche des TCR. Von den Lofoten an das ersehnte Ziel: Das Nordkap in der Mitternachtssonne.
TCR #50 Lofoten: Panorama, Wohnmobile und kalter Gegenwind
Mittwoch, 25. Juni. Es hat sich gelohnt, noch die letzte Fähre von Bodø zu nehmen. Obwohl das mit dem Schlafen auf der Fähre leider nicht geklappt hat. Sie war einfach zu voll und die einzelnen Sitze zu unbequem dafür. So konnte ich erst nach der Ankunft um 2:30 in Moskenes mein Zelt aufbauen und dann zumindest noch ein paar Stunden Ruhe finden. Dazu musste ich mich wieder einmal in den Campingplatz einschleichen. Für mein kleines Einmann-Zelt ist aber immer und überall Platz.
Gegen 9 Uhr wurde ich durch Motorenlärm geweckt. Die ersten Motorradfahrer, die mit ihren Motorrädern bis auf die Zeltwiese gefahren waren, hatten ihre Zelte bereits abgebaut und starteten ihre Gefährte. Ich kroch aus meinem Zelt und blinzelte in die Sonne. Die Lofoten präsentierten sich von ihrer Bilderbuchseite. Ich machte mir ein kleines Frühstück mit den restlichen Haferflocken, Joghurt und Kaffee, schlich mich in den Waschraum und packte dann ebenfalls meine Sachen.
Bei einem solchen Wetter und Panorama fährt es sich gleich viel leichter. Auch wenn man nicht richtig ausgeschlafen ist. Ich kam allerdings nicht besonders schnell voran, weil ich immer wieder zum Fotografieren stehenblieb.

Die Zeit musste ich mir nehmen. Wer weiß, wann ich wieder hierher komme. Gut gelaunt fuhr ich von Foto-Punkt zu Foto-Punkt und war mental auf einen angenehmen Tag in dieser bezaubernden Umgebung vorbereitet. Zumal die Strecke laut Vorausberechnung flach zu sein versprach.

Ich konnte verstehen, warum die Menschen hierher fuhren. Ich konnte aber auch die Bewohner der Inselgruppe verstehen, die unter dem Touristenansturm zu leiden begonnen haben. Dass die Bürgermeister der Gemeinden deswegen in Oslo um Hilfe rufen und überlegen, wie sie die Wohnmobil-Flut eindämmen können.

Der starke Verkehr passte tatsächlich nicht so richtig in die Bilderbuchumgebung passte, war der starke Verkehr. Anfangs hatte ich den noch gar nicht richtig bemerkt und wohl auch gedacht, er würde nachlassen, wenn ich weiter von Moskenes wegkomme.

Das war aber nicht so. Ich bewegte mich in einer nicht abreißen wollenden Wohnmobil-Karawane, dazwischen normale Autos und Lastwägen, die auf der mitunter recht schmalen und schlechten Straße in beide Richtungen fuhr. Der Verkehrslärm war erheblich und mehrmals musste ich anhalten, um hinter mir drängelnde Wohnmobile passieren zu lassen.

Dann wurde auch das Wetter schlecht. Die Sonne war bald hinter einer dicken Wolkendecke verschwunden und es kam ein rescher, kalter Nordwind auf. Obendrein stellte ich bald fest, dass die vorab errechneten Höhenmeter nicht stimmen konnten. Nach kaum 50 Kilometern war ich bereits den Großteil der angeblich auf über 200 Kilometern langen Teilstrecke nur 800 Höhenmeter gefahren, und es ging weiter hurtig hügelig bergauf, bergab. Immer wieder mit kräfteraubenden Rampen über die Insel.

Wenn man bedenkt und sieht, wie sich die Berge steil vom Meeresspiegel aus erheben, ist etwas Anderes auch kaum zu erwarten. Entspannt war der Tag schon lange nicht mehr. Und wieder einmal waren Einkehrmöglichkeiten rar, und davon auch noch die meisten geschlossen.

Das gehört zu meiner Reise. Bei aller Schönheit ist Norwegen ein raues Land. Es war mir von Anfang an, nein lange vor Antritt meiner Fahrt bewusst, dass es auch hart wird. Mein Transcontinental Ride ist kein Urlaub, kein Spaß und keine Vergnügungsreise. Könnte es vielleicht sein, wenn ich in etwa doppelt so viel Zeit (und auch Geld) hätte. Wenn ich nur 70, 80 Kilometer am Tag fahren würde. Zwischendurch ausnahmsweise einmal 100 km und jede Woche mindestens einen Ruhetag einlegen würde.
Das ist jedoch in meinem Zeitbudget nicht drin. Ich muss auch fahren, wenn das Wetter schlecht ist, wenn es zwickt und die Beine müde sind. Schauen, dass ich mein tägliches Pensum von durchschnittlich 150 Kilometer zumindest annähernd erreiche. Trotz aller Schwierigkeiten und Hürden am Weg, von denen es mehr als genug gibt.
Mich dazu zu motivieren fällt oft genug schwer. Aber es gibt immer wieder ein erreichbares Ziel zwischendurch, an dem ich mich festhalten kann. Wenn ich stets nur an das Nordkap denken würde, wäre ich längst nicht so weit gekommen. Und Urlaub machen und mich richtig erholen kann und muss ich, wenn ich wieder zuhause bin.
Weiter ging es also, gut eingepackt im Regengewand als Windschutz, eingezwickt in der Wohnmobil-Karawane. Alle möglichen schönen Plätze die es gab waren mit Wohnmobilen verparkt. Es war, als wäre man auf einer Camping- und Caravan-Messe. Erst als die Radroute eine Weile von der Hauptstraße E10 auf die kleinere 815 führte, wurden der Verkehr und der nervige Verkehrslärm weniger. Ich konnte das Panorama etwas mehr genießen.

Was allerdings nicht besser wurde, war das Wetter. Es fielen zwar nur selten einige harmlose Regentropfen, der kalte Wind war jedoch anhaltend und drückte die Temperatur, die ohnehin nur noch bei 8 Grad lag, gefühlt noch weiter nach unten. Laut Strava lag die gefühlte Temperatur bei nur 2 Grad. Norwegen eben. Wie man es sich als Reisender vielleicht nicht unbedingt wünscht.

Ich wurde immer müder und hatte nur noch wenig Lust, weiterzufahren. Also beschloss ich, mir für die Nacht wieder ein warmes Zimmer zu nehmen. In Svolvær, das zu dem Zeitpunkt noch fast 50 Kilometer entfernt war, fand ich eines. Das Marina Hotel. Dreimal so teuer wie normalerweise auf meiner Reise, aber zumindest in fahrbarer Distanz und ohne Umweg direkt an meiner Route gelegen, die dann schon wieder entlang der E10 verlief. Inzwischen war es aber auch schon wieder Abend geworden. Die meisten Wohnmobile hatten sich bereits irgendwo eingeparkt und der Verkehr war nun erträglicher.
Mit der Karotte eines bequemen, weichen Bettes und reichlich Schlaf vor der Nase konnte ich nochmals Energien mobilisieren und kam schließlich in Svolvær an. Wo ich, um in mein Zimmer zu können, noch eine letzte Hürde knacken musste. Ich hatte eine SMS mit dem Code zum Öffnen der Eingangstür in das Hotel erhalten. Dummerweise war mein Handy-Akku aber komplett leer. Mit dem letzten bisschen Saft, den meine Powerbank noch hatte, konnte ich mein Handy reanimieren und in das Haus, in mein Zimmer. Müde und richtig ausgelaugt kippte ich auf das Bett.
Noch rund 1000 Kilometer bis zum Nordkap.
Route und Daten zum Tag: strava.com/activities/14915121144

TCR #51 Zum Nordzipfel der Lofoten
Donnerstag, 26. Juni. Ein großes Stück vorwärts. Ich habe es geschafft, die Lofoten in nur zwei Tagen abzufahren und in der Nacht, die keine war, den Hafen von Andenes zu erreichen. Von hier aus kann ich um 8:45 die Fähre nach Gryllefjord nehmen. Es sind dann nur noch 500 Kilometer zum Nordkap.
IRRTUM: ES SIND IMMER NOCH 700 km. ICH HATTE EINE TEILSTRECKE ÜBERSEHEN
Doch der Reihe nach. Der zweite Tag auf den Lofoten begann wesentlich besser als der zuvor. Ich wachte erholt und ausgeschlafen auf, machte mich dann über das Frühstücksbuffett her und ging die Weiterfahrt gemütlich an.

Die Route führte mich zu Beginn wieder auf die E10. Ich erwartete schon Schlimmes, doch meine Sorge war unbegründet. Die Wohnmobilkarawane, die mich gestern genervt hatte, blieb aus. Und mit ihr auch der Wind. Es war auch ein paar Grad wärmer. Alles in allem war das gleich viel angenehmer. Erst recht, als ich auf die kleinere, kaum befahrene Straße Nummer 82 kam, der ich dann fast den ganzen weiteren Tag folgen sollte.

Wie prognostiziert lichteten sich auch die anfangs noch recht dichten Wolken bald, und es setzte sich mehr und mehr die Sonne durch. Am späteren Nachmittag war es bereits wolkenlos, und das sollte auch so bleiben.

Obendrein hatte ich Fährenglück und kam gerade rechtzeitig zur zwischendurch nötigen Überfahrt von Fiskebøl nach Melbu.
Am Fährhafen traf ich Johannes, der am 6. Mai, einen Tag vor mir, von seiner Haustür in der Nähe von Melk, Richtung Nordkap aufgebrochen ist. Und es war wie jedes Mal, wenn ich unterwegs jemand getroffen habe: wir unterhielten uns kurz, tauschten unsere Erfahrungen aus, fuhren ein paar Kilometer gemeinsam, und dann trennten sich unsere Wege wieder.
Bis dahin hatte ich keinen wirklichen Plan für den weiteren Tag. Ich hatte eingekauft, um mir Essen kochen zu können. Irgendetwas würde sich schon ergeben. Andenes lag noch so weit weg, dass ich es noch gar nicht in Betracht zog, bis dorthin zu fahren.

Ich genoss einfach nur das Panorama, die beeindruckende Landschaft, und fuhr weiter.

Irgendwann, schon nach Skagen, begann ich zu überlegen, wie weit ich noch fahren sollte. Und sah nach, wann die Fähren von Andenes nach Gryllefjord ablegen. Was etwas ernüchternd war. Denn es gab eine Fähre um 8:45, danach erst wieder um 13:00 und um 17:00. Fahrzeit jeweils zwei Stunden.

Ich hatte die Wahl: entweder irgendwo an einem netten Platz mein Zelt aufschlagen und die 13:00 Fähre nehmen. Oder die Nacht, die es hier ohnehin nicht gab, durchzufahren und mit der ersten Fähre zu fahren.
Danach kam bald Wind auf, die Sonne schien zwar weiterhin, stand aber so tief, dass sie keine Kraft mehr hatte. Es wurde wieder richtig kalt. Und ich hatte keine Lust, im Wind und in der Kälte zu übernachten.

Also fuhr ich weiter, denn solange ich fahren konnte, würde mir nicht kalt werden. Es wurde Mitternacht und nach Mitternacht, die Sonne schien weiterhin, der Himmel war strahlend blau und irgendwie wurde ich dadurch nichteinmal müde. Nur der anhaltende kalte Wind war ein bisschen ein Spielverderber.
Es ist schon etwas befremdlich in der Mitternachtssonne auf den Lofoten. Außer mir war kein Mensch unterwegs. Alle schliefen. Die Vögel, Schafe und Kühe an denen ich vorbeikam, waren jedoch wach. Das Land gehörte jetzt ihnen. Und mir.

Und schließlich, um etwa 5 Uhr morgens, nach 240 Kilometern Fahrt war ich in Andenes. Am Fährhafen gab es eine Bank, auf der ich meine Küche aufbaute und Essen kochte. War das jetzt Mittagessen, Abendessen oder Frühstück? Irgendwie alles. Nachdem ich gegessen hatte stellte ich meinen Wecker auf 8:20, setzte meine Schlafmaske auf und schlief ein.

Route und Daten des Tages:
Teil 1: strava.com/activities/14924259127
Teil 2: strava.com/activities/14928226539


TCR #52 Tromsø
Freitag, 27. Juni.
Kaiserwetter heute im norwegischen Nordland. Den ganzen Tag lang war nicht eine Wolke am Himmel. Dazu gab es angenehm milde Temperaturen von knapp 20 Grad und es war zudem nahezu windstill.
Es war ein Vergnügen, bei solchen Bedingungen durch das Land zu rollen und die sensationelle Landschaft zu erleben. Nur zwei Dinge trübten die Freude etwas. Das war einerseits meine eigene Müdigkeit nach der gestrigen langen Fahrt durch die Nacht und andererseits das herausfordernde Streckenprofil mit einigen bösen Zacken.
Gegen die Müdigkeit gibt es Kaffee. Und daher nutzte ich gleich nachdem ich in Gryllefjorden von der Fähre gegangen war die Gelegenheit, um für Frühstück einzukaufen. Auf der Satellitenkarte hatte ich einen kleinen Badesee an der Ortsausfahrt entdeckt. Dorthin fuhr ich mit meinem Einkauf und machte es mir gemütlich.

Ich ließ mir Zeit um mich zu stärken denn viel Schlaf hatte ich wirklich nicht bekommen. Es war schon gegen Mittag, als ich dann wieder losfuhr. Im Grunde wäre ich fast lieber an dem See geblieben, hätte gerne wieder einmal einen Tag Pause gemacht. Doch ich musste weiter. Schließlich war ich gerade eine ganze Nacht durchgefahren, um zur Fähre zu kommen. Da wäre es Quatsch gewesen, danach nicht weiterzufahren.
Es ging gleich einmal knackig zur Sache. Mit einer fordernden Auffahrt zu einem Aussichtspunkt auf den Fjord und das Städtchen Gryllefjord.

Über die nächsten Stunden blieb der Streckenverlauf ähnlich. Es gab immer wieder steile Anstiege, an deren Ende ich mit großartigen Aussichten für die Mühen belohnt wurde.

Die Landschaft war überwältigend schön. Das Meer turkisblau, immer wieder eröffneten sich traumhafte Ausblicke. Und erst recht freute mich, dass es kaum Verkehr gab.

Die Straße verlief kurvenreich bergauf und bergab, oft am Wasser entlang. Wobei ich kaum einmal sagen konnte, ob ich gerade an einem Bergsee oder an einem Fjord war. Beide waren immer kristallklar und schimmerten blau im Sonnenlicht.

Zwischendurch überlegte ich, wie weit ich heute kommen könnte. Das hing wieder von einer Fähre ab, und zwar von der ab Botnhamn. Wenn es mir gelingen würde, die um 20:00 Uhr zu erreichen, könnte ich zumindest in die Nähe von Tromsø kommen.
Ich musste ohnehin nach Tromsø, denn mein Hintereifen – der schon der dritte auf meiner Reise war – war bereits stark abgefahren. Hatte praktisch kein Profil mehr. Und Tromsø ist irgendwie der letzte Außenpunkt der Zivilisation. Jedenfalls für längere Zeit die letzte Möglichkeit für einen Reifenwechsel.

Ich war rechtzeitig gegen 19:30 da. Am Hafen nutzte ich die Gelegenheit für einen Snack. Dann konnte ich mein Rad auch schon auf die Fähre schieben – die übrigens wie alle Fähren in Norwegen für Radfahrer gratis war – und machte einen Power-Nap. Was auf der kleinen, fast leeren Fähre besser möglich war als das bei der der Überfahrt auf die Lofoten der Fall gewesen war.

Tromsø war danach noch 55 Kilometer entfernt. Zu weit, um noch hinzufahren, dachte ich. Also plante ich, noch 20, vielleicht 30 Kilometer zu fahren und mir dann einen schönen Platz für mein Zelt zu suchen.
Bei Kilometer 20 kam ich jedoch nochmals in die Berge und ich musste über einen weiteren kleinen Pass fahren. Den „Kaldfjorden Climb“ hoch. Oben in den Bergen war es spürbar kälter und windig. Da wollte ich nicht zelten. Zugegeben hätte ich mich das auch nicht getraut. So ganz alleine in der wilden Bergwelt. Wer weiß, welchen Besuch ich in der Nacht bekommen hätte. Rentiere sind ja harmlos, hier im Norden gibt es aber auch zottelige Bären. Und wenn ein solcher vorbeikommt, dann sicher nicht zum Kuscheln.

Nach der Abfahrt waren es keine 20 Kilometer mehr nach Tromsø. Ich begann wieder nach einem Zeltplatz Ausschau zu halten. Als ich endlich eine scheinbar passende Stelle gefunden hatte, versank ich dort mit den Schuhen bis zu den Knöcheln im Morast.
Auch damit hatte ich nicht gerechnet. Wo der Boden nicht speziell angelegt und gepflegt war, da schien er gerade erst nach dem Winter aufgetaut oder vom vielen Regen sumpfig zu sein. Ich hatte keine Lust mehr auf Zelten. Wo hätte ich hier auch mein Zelt aufstellen sollen? Obendrein hatte auch noch nasse Füße bekommen. An einer Bushaltestelle machte ich im Wartehäuschen kurz Rast. Ich aß ein paar Bissen und für einen Moment überlegte ich sogar, mich gleich hier zum Schlafen einzurichten. Was mir aber dann doch zu unbequem war. Also holte ich mein Handy heraus und buchte ein Zimmer im Smart Hotel in Tromsø. Das war in meiner Preis-Range und sah außerdem nett aus.
Laut Google Maps waren es nur noch 14 Kilometer dorthin. Dann endlich richtig schlafen. In einem warmen, weichen Bett. Das war einfach zu verlockend. Doch die 14 Kilometer hatten es in sich und waren gefühlt mindestens doppelt so weit. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich endlich die Lichter der Stadt sah. Als ich mich den Lichtern näherte, bemerkte ich, dass es sich dabei erst um die Beleuchtung des Flughafens und um ein kleines Industriegebiet handelte. Um ins Stadtzentrum zu kommen musste ich noch über einen Berg auf die andere Seite. Der ist zwar kein Gigant, aber ich war schon wieder fast 14 Stunden unterwegs. Und der Anstieg hat es in sich, ist einen guten Kilometer lang, mit durchschnittlich zehn Prozent Steigung. Das Strava-Segment dort heißt „Norrøna Lungespreng“ – Lungensprenger, oder „Beuschlreißer“, wie man in Wien sagen würde.
Der Lungensprenger forderte mich nochmals richtig. Überforderte mich im Grunde, denn als ich den Berg endlich überwunden hatte und die letzten Kilometer in die Stadt zum Hotel rollte, war ich komplett erledigt. Ich hatte für die letzten 14 Kilometer eineinhalb Stunden gebraucht. Ich hatte genug. Mehr als genug für den Tag. Schließlich kam ich an. Ich checkte ein, kaufte mir an der Rezeption noch eine Dose Bier als Schlummertrunk – die ich teuer bezahlte (19 €) und dann gar nicht mehr ausgetrunken habe. Erschöpft schlief ich ein.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14936203101

TCR #53 Entspannt nach Lyngen
Samstag, 28. Juni. Ich habe selten Probleme mit Krämpfen. Während der bereits über 50 Tage dauernden Reise waren die bisher auch noch nie ein Thema.
Heute Nacht in Tromsø wachte ich jedoch mehrmals mit Krämpfen in den Beinen auf, und es dauerte jeweils etliche lange Minuten, bis sich meine Muskeln wieder entspannt hatten und ich mich wieder richtig bewegen konnte. Der Lungensprenger ließ grüßen. Und die letzten Tage, an denen ich weit gefahren war und zu wenig geschlafen hatte. Statt Bier hätte ich außerdem vor dem Schlafengehen einen Protein-Shake kaufen und trinken sollen. Aber die Verlockung war zu groß und nachher ist man immer gescheiter. Es war jedenfalls Zeit, heute einen Gang zurückzuschalten. Doch das musste ich mir nicht extra vornehmen, denn das ergab sich dann von selbst.
Ich hatte in den letzten Tagen auch zu wenig gegessen und getrunken habe. Es ist zwar schwierig, als Radreisender in Norwegen die Ernährung ausgewogen zu halten. Aber im Grunde wüsste ich, was zu tun wäre. Und das Trinken sollte überhaupt kein Problem sein, denn Wasser gibt es hier in Norwegen wahrlich genug.
Jedenfalls beschloss ich, mein Zimmer so lange wie möglich zu nutzen, um möglichst viel Schlaf nachzuholen. Es war dann bereits nach Mittag. In der Lobby trank ich noch einen Kaffee, und dann hatte ich noch Besorgungen zu machen. Ich musste unbedingt noch Essen einkaufen. Es war schon wieder Samstag, meine Vorräte erschöpft. Vor der Weiterfahrt Richtung Nordkap musste ich außerdem wieder einmal in einen Bike-Shop. Mein Hinterreifen – bereits der dritte – war schon wieder komplett abgefahren. Und Tromsø war für eine lange Zeit die letzte Möglichkeit, an einen neuen Reifen zu kommen. Ich wollte nicht riskieren, im hohen Norden eine Panne zu haben.
Zuerst machte ich aber einmal eine kleine Stadtrundfahrt durch Tromsø, das – wie ich erst seit heute weiß – auf einer eigenen kleinen Insel, der Tromsøya, liegt.











In Tromsø hätte es noch einiges zu besichtigen gegeben. Das Polarmuseum zur Geschichte des Nordpols, unter anderem mit der Ausrüstung des Polarforschers Roald Amundsen. Oder die Mack-Brauerei, die angeblich nördlichste Brauerei der Welt. So viel Zeit hatte ich dann aber auch nicht. Und vor allem etwas Anderes vor.


Zum langsamen Start in den Tag passte dann aber auch noch ein Kaffee am Strand. Ich genoss den sonnigen Vormittag in vollen Zügen. Erst danach fuhr ich zu „ski & sykkel„, wo ich einen neuen Reifen bekam und auch noch schnell Katies Antrieb serviciert wurde. Der junge Radmechaniker war wieder einmal ganz begeistert von meiner Tour und bestätigte mir, dass gerade jetzt die beste Zeit des Jahres für eine Bikepacking-Tour durch Norwegen wäre. Und er brachte mich auf die Idee, auch einmal getrocknetes Rentierfleisch als Proviant für unterwegs zu kaufen.
Nachdem ich mich mit reichlich Proviant eingedeckt hatte, checkte ich mir noch ein Quartier für die Nacht via Airbnb, dann ging es weiter durch Norwegens faszinierende Fjordlandschaft Richtung Nordkap. Nur ein kurzes Stück musste ich dabei die E8 nehmen, sonst gab es durchwegs schöne, kleine Straßen. Und Sonne. Es war herrlich.

Ich hatte mich für den Tag gar nicht so genau mit der Strecke beschäftigt. Was mir gut tat. Ich fuhr einfach dahin und ließ alles auf mich zukommen.

Wenig überraschend gab es auch wieder einige Höhenmeter zu machen. Es war der nächste Teil der bereits gewohnten Berg- und Talfahrt durch Norwegen. Berge, Ende Juni immer noch schneebedeckte Berge, gibt es hier im Norden des Landes überall.

In Breivikeidet erreichte ich die Fähre just-in-time. Am Hafen hatte ich noch kurz Zeit für einen kleinen Snack, dann war die Fähre auch schon da. Alles war gut. Ich setzte nach Ullsfjord über und fuhr weiter, nach Lyngen. Dort angekommen machte ich jedoch einen Fehler.
Es war kurz vor 20:00 Uhr, als ich am Hafen von Lyngen ankam. Und als erstes sah ich den kleinen Supermarkt der um 20:00 Uhr schloss. Also fuhr ich hin, um ein Cola und einen Snack für den Abend zu kaufen. Ich hatte jedoch beim Lesen des Fährplans übersehen, dass an Samstagen die letzte Fähre bereits um 20:00 Uhr und nicht um 21:00 fährt. Kurz einzukaufen dauerte daher lange genug, um die letzte Fähre des Tages zu verpassen. Die Fahrt des Tages endete also hier, nach knapp 100 Kilometern. Nur ganz kurz war ich enttäuscht. Ich wäre zwar zumindest gerne noch an die andere Seite des Fjords gekommen, um am nächsten Tag in der Früh ohne warten weiterfahren zu können. Aber es war sinnlos, mich darüber zu ärgern. Ich nahm es so an, wie es war. Ich hatte Pause bis morgen früh um 9:15, wenn die erste Fähre ablegt.
Das Airbnb Zimmer konnte ich nun nicht mehr erreichen. Ich schrieb Gunn, meinem Host, dass ich die Fähre verpasst hatte und daher leider nicht kommen konnte. Sie war dann so nett, meine Buchung auf den nächsten Tag zu verschieben. Das war geregelt. Aber wo sollte ich nun am besten die Nacht verbringen? Das schöne Wetter würde laut Prognose nicht anhalten. Am Himmel zogen bereits dunkle Wolken auf, schon in der Nacht sollte Regen einsetzen und es sollte außerdem deutlich abkühlen.
Ich wollte ein Dach über dem Kopf und drehte eine kleine Runde durch Lyngen, wo nach dem Ablegen der letzten Fähre offenbar generell Sperrstunde war. Im ganzen Ort war kein Mensch zu sehen. Ich entdeckte den Lyngseidet Gjestegård, ein kleines Hotel. Doch das war geschlossen. An der Tür hing ein Zettel mit einer Telefonnummer, die ich wählte. Ich hatte Glück. Der Besitzer hob ab und versprach, innerhalb der nächsten halben Stunde zu kommen und mich reinzulassen.
Ich war der einzige Gast. Als der Besitzer kam, musste ich wieder einmal von meiner Reise erzählen. Wir tranken gemeinsam Bier an der Hotelbar, und er erzählte mir, dass er im Juni 1999, als der Nordkap-Tunnel eröffnet wurde, mit der allerletzten Fähre nach Magerøya, der Nordkap-Insel und anschließend als erster mit dem Auto durch den Tunnel zurückgefahren war. Auch wenn das vielleicht nicht stimmte, war es doch eine schöne Geschichte. Danach verabschiedete er sich, und ich das ganze Haus für mich. Schade eigentlich. Ich hätte gerne noch weitere norwegische Geschichten gehört. Ich machte es mir in der Lounge bequem, bewunderte die Bilder an der Wand und blätterte noch ein wenig in einem alten norwegischen Kochbuch mit typischen Rezepten, bis mir die Augen zufielen.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14945875627

TCR #54 Arktis, Fjorde und Berge
Sonntag, 29. Juni.
Das war es wohl vorerst mit dem Schönwetter im norwegischen Nordland. Über Nacht hat sich wieder der angekündigte Regen breit gemacht und die Wolken hingen schwer über dem Fjordland und den Bergen. Ich war froh, ein warmes, weiches Bett gehabt und ein gutes, reichliches Frühstück bekommen zu haben.

Das war zwar etwas schade, aber schließlich bin ich nördlich des Polarkreises, in der Arktis und nicht in der Südsee. Auch dass es hier, sobald die Sonne hinter Wolken ist oder tiefer steht, ziemlich frisch wird und ich beim Radfahren fünf Schichten anlegen muss, darf mich nicht wundern. Meterologisch gesehen ist der arktische Raum nämlich derjenige, in dem auch im Hochsommer, im Juli, die Durchschnittstemperatur unter 10 Grad bleibt.

Das hatte ich in der Klarheit allerdings nicht bedacht, als ich mir mein Zelt und meinen Schlafsack für die Expedition in den Norden gekauft habe. Nachts werden die empfohlenen Temperaturgrenzen meiner Ausrüstung inzwischen deutlich unterschritten. Aber für heute Nacht würde das kein Problem sein. Ich hatte schließlich schon meinen Schlafplatz bei Gunn in Sørstraumen.
Dorthin war es allerdings weiter als ich angenommen hatte. Und ich musste außerdem eine weitere Bergprüfung. Vor mir lag der Kvænangsfjellet, dessen Passhöhe auf 401 Metern liegt. Das klingt wieder einmal nicht nach sonderlich viel, aber nachdem der Anstieg beim Fjord auf Meereshöhe beginnt, geht er in die Beine und zieht sich lange dahin.

Oben grasen Rentiere und es ist fast noch Winter, der Schnee liegt an manchen Stellen noch meterhoch. Das begeistert auch drei Kuwaitis, die mit ihrem Wohnmobil auf den Berg gefahren sind, mir applaudieren und einen Drink anbieten. Was ich lachend und dankend ablehne. Sorry, ich habe noch einen Weg vor mir und muss noch weiterfahren. Nach Sørstraumen, einer nur aus ein paar Häusern bestehenden Siedlung irgendwo am Fjord im Land der Mitternachtssonne.

Die restliche Fahrt des Tages verlief zumeist an der E6, die hier im Norden die einzige durchgängige Straße ist. Weiter im Süden ist die E6 eine für Radfahrer abschreckende Autobahn. Hier im Norden zieht sie sich, ähnlich eines Flusses in der Nähe des Ursprungs, zumeist nur noch als einfaches Band durch das Land.
Der Verkehr hielt sich – so wie der Regen – dann auch in Grenzen. Vielleicht weil Sonntag war. Vielleicht aber auch, weil sich zu dieser Jahreszeit doch nicht so viele hierher verlieren. In diese einsame und leere Ecke Norwegens, 350 Kilometer vom Nordkap entfernt.

Schließlich kam ich im Airbnb in Sørstraumen an. Und rückblickend ich war richtig froh, dass ich am Vortag die letzte Fähre verpasst hatte. Ich hatte die Entfernung völlig falsch eingeschätzt, war auch am heutigen Tag fast zehn Stunden unterwegs gewesen.
Gunn, mein Host lebt hier – zumindest im Sommer – mit ihrem Sohn in dem einfachen, typisch-norwegischen Holzhaus, das sie von ihren Eltern geerbt hat. Ebenfalls bei ihr im Haus sind Miro und Samu, zwei slowakische Bikepacker. Wir sitzen gemeinsam in der Küche und unterhalten uns, Gunn backt Waffeln und kocht Tee. Sie erzählt uns von den Polarlichtern, der Mitternachtssonne, der Polarnacht und den Wintern mit vielen Metern Schnee. Von ihrer Familie, ihrem Bruder, einem Fischer, der vor einigen Jahren vom Boot ins Meer gefallen und ertrunken ist. Es ist schön, wieder einmal einen Abend Gesellschaft zu haben. Jemand anderen beim Erzählen zuzuhören.
Bevor wir zu Bett gehen machen sich Miro, Samu und ich noch aus, morgen früh zumindest ein Stück gemeinsam Richtung Alta zu fahren. Die beiden sind mit wesentlich weniger Gepäck und mit schnelleren Rädern unterwegs. Auf Dauer werde ich ihr Tempo daher nicht mithalten können, aber vielleicht die ersten, großteils flachen 100 Kilometer des Tages, bis zum nächsten großen Anstieg oder zur Stadt Alta.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14956789179

TCR #55 Durch die Tundra nach Olderfjord
Montag, 30. Juni.
Ich habe mein Nachtlager an der Fjordküste in Olderfjord aufgeschlagen. Ein Lagerfeuer angefacht, mein Zelt aufgeschlagen und Essen gekocht. Jetzt genieße ich die Stille des Ortes, an dem nur das Rauschen des kleinen Flusses nebenan und gelegentliches Vogelgezwitscher zu hören ist.

Hierher gekommen bin ich heute mit Unterstützung des von Miro und Samu, den beiden Bikepackern aus Bratislava, die gestern Nacht im gleichen Quartier wie ich übernachtet haben.
Die ersten 90 Kilometer des Tages sind in ihrer Begleitung im Eiltempo vergangen. Es war schön, nach den vielen langen und oft auch einsamen Fahrten in den Norden wieder einmal Gesellschaft zu haben. Und Windschatten! Ich hatte schon fast vergessen, mit welcher Leichtigkeit man damit dahinsegeln kann. Zumindest im Flachen, und mit etwas Rückenwind obendrein.

Nach 90 Kilometern gemeinsamer Fahrt entlang der Fjordküste trennten sich unsere Wege kurz vor Alta wieder.
Die Fahrt begann damit quasi ganz vom Neuen. Denn ab Alta veränderte sich, wie Gunn uns gesagt hatte, das Gelände rapide. Es ging hinauf in die Berge, auf knapp 400 Meter Seehöhe zur Schneegrenze, in die Tundra. Auch darauf war ich vorbereitet. Gunn hatte uns gesagt, dass die Bikepacker, die bei ihr übernachten, normalerweise am nächsten Tag nur bis Alta fahren, dort nochmals übernachten und erst am Tag darauf die Tundra durchqueren. Zwischen Alta und Skaidi, 100 Kilometer weiter, gibt es nichts, kein Geschäft, keine Einkehrmöglichkeit, nur Steppe, Berge und raue Wildnis, hatte Gunn gewarnt. Das bedeutete für mich eine fünf, sechs Stunden lange Fahrt. Die Wetterprognose schien das zuzulassen.
Also kaufte ich in Alta im Supermarkt Essen und Trinken für den weiteren Tag, Abendessen und Frühstück ein und fuhr schwer beladen weiter Richtung Olderfjord. Eine Entscheidung, die ich dann auch durchziehen musste. Mein Zelt aufzustellen wäre nur absolutes Notfallprogramm.
Die Tundra zwischen Alta und Skaidi ist eine Landschaft, die sich nur schwer in Worte fassen lässt.
Es ist eine riesige hügelige, in den Sommermonaten morastige Steppe mit kargem Grasbewuchs. Die einzigen größeren Pflanzen sind dürre Birken, die hier aber auch eine maximale Wuchshöhe von nur noch zwei, drei Metern erreichen.

Durchschnitten wird die Landschaft, in der das Nomadenvolk der Samen lebt und ihre Rentierherden grasen und umherziehen, von der E6, die als Norwegens Nord-Süd-Route hier die einzige asphaltierte Straße ist.

Entlang dieser Zivilisationsschneise, auf der viele Autos und leider auch schwere LKW viel zu schnell unterwegs sind, gibt es gelegentlich einfachste Holzhäuser. Einen Ort, der diese Bezeichnung verdient hätte, sucht man vergeblich.
Die einzigen wenigen Geschäfte sind Läden, in denen Rentierprodukte aller Art verkauft werden. Am Straßenrand liegen auch immer wieder Rentierkadaver. Tiere, die vermutlich von einem der schweren LKW, die hier gelegentlich durchbrettern, gerammt wurden und verendet sind.

Ich wüsste nicht, wie und wo man hier an etwas Anderes als ein Rentierprodukt oder Wasser kommt. Dafür muss man eben nach Alta an dem einen oder nach Skaidi am anderen Ende der Steppenlandschaft.

Ich brauchte fünf Stunden, um die Tundra, das Sennalandet (etwa „Hirtenland“), zu durchqueren. Es war ein beeindruckendes, aber auch forderndes Erlebnis. Die Einsamkeit, die Leere, die zahlreichen kleinen Anstiege und der hartnäckige Gegenwind waren ein scharfer Kontrast zur ersten Tageshälfte mit Miro und Samu. In Skaidi angekommen, eine Nichts von einem Ort, der aus einigen verstreuten Häusern, einer Tankstelle mit einem kleinen K-Mart, einer Cafeteria und einem Motel besteht, machte ich an der Tankstelle kurz einen Food-Stopp.
Ich war gerade noch rechtzeitig angekommen, denn der Shop war eben am Schließen, weshalb ich dann auch zwei Hotdogs zum Preis von einem bekam. Und ganz kurz war ich auch in Versuchung, mir ein Zimmer im benachbarten Motel zu nehmen. Das gab es jedoch nicht zum halben Preis – obwohl garantiert nach mir niemand mehr gekommen wäre.
Also macht ich mich, frisch gestärkt, wieder auf den Weg. Es konnte nicht mehr sehr weit nach Olderfjord sein. Und tatsächlich waren es nur noch gut 20 Kilometer mit etwas über 200 Höhenmetern, bloß eine Stunde zu fahren. Und schließlich ging es bergab, nach Olderfjord an der Fjordküste.
Ich wusste, dass es hier einen Campingplatz gibt, und sah auch gleich die dort geparkten Wohnmobile. Irgendwie hatte ich aber keine Lust, mich neben diese rollenden Häuser zu stellen. Außerdem wollte ich am nächsten Tag vor meiner Schlussetappe zum Nordkap richtig ausschlafen und gemütlich frühstücken. Also suchte ich mir einen Platz am Strand, an dem ich mein Zelt aufschlagen, ein Lagerfeuer machen und mein Essen kochen konnte. Es war herrlich. Ich hatte eine ganze Bucht für mich alleine und eine wunderbare Aussicht auf den Fjord.



Nur noch ca. 135 Kilometer zum Nordkap. Das Ziel meiner Reise ist zum Greifen nahe.
Route und Daten des Tages: https://www.strava.com/activities/14966287639

TCR #56 Am Nordkap
Dienstag, 1. Juli.
Vor genau acht Wochen habe ich in Malaga mein Transkontinental-Abenteuer gestartet. Heute, nach 56 Tagen Fahrt, 7241 Kilometern, 65.000 Höhenmetern, zahlreichen Reifenpannen und sonstigen Missgeschicken bin ich am Nordkap angekommen.
Zum Finale, das mir nochmals alles abverlangte, hatte ich Traumwetter. Besser geht hier wohl kaum. Und es war nocheinmal enorm anstrengend.
Am Morgen habe ich mir am Zeltlagerplatz an der Küste richtig Zeit gelassen. Die Stille und Ruhe dort genossen und Kraft getankt. Richtig viel gegessen, ehe ich mein Lager wieder abbaute, packte und mich auf den Weg machte.

Kurz darauf kam ich an ein Straßenschild. „Nordkapp 129“. Nur noch lächerliche, kleine 129 Kilometer.

Die ersten 50, 60 Kilometer waren ein Geschenk. Die Straße und die Landschaft ein Traum. Das Wetter obendrein. Ich fühlte mich wie ein Profi am letzten Tag der Tour de France. Etappe 56. Alles ist entschieden. Jetzt nur noch die Genussfahrt und dann der Zielsprint zum Globus am Nordkap, meinem „Arc de Triomphe“. Immer wieder hielt ich an, um Fotos zu machen. Alles festhalten. Soweit das mit Bildern möglich ist. Die Augenblicke und Momente genießen.
















Dann kam ich zum Nordkap-Tunnel. Ein Angstgegner der meisten Bikepacker, die zum Kap wollen. Dieses liegt nämlich auf der Insel Magerøya. Bis 1997 gab es eine Fähre als Verbindung zwischen dem Festland und der Insel. Wegen der schwierigen Witterungsbedingungen und der oft rauen See wurde der Tunnel gegraben und die Fährverbindung eingestellt. Alle, auch Radfahrer müssen nun durch den Tunnel, wenn sie zum Nordkap wollen.

Ich wusste schon viel über den Tunnel und wie ich ihn am besten fahren kann. Auch, weil ich in Norwegen schon einige lange Tunnel durchfahren hatte.
- Der Nordkap Tunnel ist knapp 7 Kilometer lang.
- Er verläuft rund 200 Meter unter dem Meer.
- Die ersten 2,5 km geht es mit ca. 9% bergab, dann 2,5 km flach und danach wieder 2,5 km mit 9,5% Steigung bergauf.
- Im Inneren ist es eiskalt. Es kann nebelig sein und der Straßenbelag eisig. Der Belag ist zudem nicht mehr der beste.
- Es ist sehr laut im Tunnel. Besonders, wenn sich ein LKW oder ein Reisebus nähert. Egal von welcher Richtung.
- Es gibt an beiden Seiten schmale Gehwege, ca. einen halben Meter breit. Die sind allerdings schon schwer beschädigt und sollten nur im Notfall zum Schieben genutzt werden. Darauf zu fahren ist gefährlich.
Nach allem was ich wusste hatte ich einen Plan, um die Röhre möglichst gelassen durchfahren zu können.
- Richtig warm anziehen.
- Ohropax in die Ohren.
- Warnweste anlegen.
- Alle 3 Rücklichter und beide Vorderlichter einschalten.
- Nicht drängeln lassen. Nicht rechts halten, sondern eher in der Fahrbahnmitte bleiben, damit überholende Autos auf die Gegenfahrbahn wechseln müssen und eben nicht überholen können, wenn es Gegenverkehr gibt. So würde ich auch nicht nach rechts abgedrängt werden.
Es hat funktioniert. Natürlich war das letzte Stück bergauf mit dem schweren Reiserad wieder eine kleine Herausforderung. Aber kein Problem. Ich konnte außerdem konzentriert und fokussiert bleiben und den Tunnel stressfrei durchfahren.
Magerøya liegt nördlich der Baumgrenze. Auf der Insel wachsen höchstens noch Sträucher. Sie ist zudem arg zerklüftet, felsig, bergig und windig. Eine attraktive Fjordlandschaft gibt es nur im Süden, bis Honnigsvåg. Dort habe ich auch im „Arctic Hotel“ ein Zimmer für die Nacht gebucht.





Ab Honnigsvåg ist Schluss mit anmutiger Landschaft. Es geht ins Land hinein. Und je weiter man ins Landesinnere und Richtung Nordkap kommt, desto karger, rauer und unwirtlicher wird die Landschaft. Sie ist ähnlich der Tundra, die ich am Tag davor durchfahren habe. Nur noch felsiger und bergiger.
In Honnigsvåg mache ich kurz beim REMA 1000 Supermarkt Halt und kaufe eine Dose Bier, um später die Ankunft am Nordkap begießen zu können. Will man mit dem Rad ans Nordkap, so muss man sich das hart erarbeiten. Die 30 Kilometer ab Honnigsvåg sind mit etlichen Höhenmetern und Rampen gespickt. Am Weg macht sich der Hunger bemerkbar. Ich mache Halt und packe meinen Kocher aus. Wärme mir die Portion Labskaus auf, die ich als Notfallration noch im Gepäck habe. Ein Kartoffel-Rindfleisch-Rote Bete Eintopf. Eine echte Energiebombe.




Und weiter geht es. Bergauf. Der Wind wird immer stärker. Zwischendurch muss ich richtig dagegen ankämpfen. Den Rentieren, die hier frei herumlaufen macht das offensichtlich weniger aus als mir.
Ich überhole zwei Deutsche Radfahrer, Vater und Sohn. Der Sohn der Verzweiflung nahe schimpft, dass er Radfahren hasst. Der Vater beschwert sich, dass es hier keinen Tunnel gibt, um den Anstieg zu umgehen. Ich sage ihnen, dass das Nordkap eben auf 350 Metern Seehöhe liegt und es nur noch einen weiteren Anstieg nach oben gibt. Eigentlich war das als Aufmunterung gedacht, doch den beiden nimmt das das letzte Bisschen Motivation. Sie kehren um, fahren zurück nach Honnigsvåg.
Ich fahre weiter, bewältige auch noch den zweiten Anstieg und schließlich erspähe ich am Horizont den Globus. Das am Nordkap errichtete Denkmal. Hat man allen Rampen und dem Wind erfolgreich standgehalten, warten am Ziel magische Momente. Erst recht, wenn man wie ich Glück hat und das Kap und den Globus in der tiefstehenden Mitternachtssonne erleben kann.

Oben angekommen tummeln sich dort viele Touristen. Es gibt einen großen Parkplatz für Busse, Wohnmobile, Autos und Motorräder.
Ich schiebe Katie, den Tränen nahe, zum Globus. Zum tatsächlich nördlichsten befahrbaren Punkt Europas. Katie und ich erregen Interesse der anderen Touristen. Anscheinend ist gerade auch ein Reisebus mit Österreichern hier. Ich muss einige Male erzählen, woher ich komme, was ich alles am Rad verstaut habe und wie meine Reise verlaufen ist. Niemand will so wirklich glauben, dass ich von Gibraltar, vom südlichsten Punkt Europas, durch den ganzen Kontinent mit dem Rad hierher gefahren bin. Ich sage Gibraltar, denn kaum jemand kennt Tarifa. Manche wollen mich fotografieren, einige ein Selfie mit mir. Ich lächle freundlich in Kameras, aber eigentlich würde ich den Moment lieber in Stille für mich alleine genießen.

Es war schön. Und hart. Ich bin oft an meine Grenzen gekommen und bis zur Erschöpfung gefahren. Wer meine Blog-Einträge liest, weiß das. Ich bin zutiefst erleichtert, mein Ziel nach über 7.000 Kilometern erreicht zu haben. Ich war immer überzeugt, dass ich das in zwei Monaten schaffen kann. Sonst hätte ich mich auch niemals auf dieses Abenteuer eingelassen. Aber es dann auch wirklich durchzuziehen, allen widrigen Umständen zu trotzen und das Ziel nie aus den Augen zu verlieren war dann doch eine enorme Herausforderung. Eine weit größere Herausforderung, als ich mir jemals vorstellen hatte können. Und die Erlebnisse und die Eindrücke dieser Reise sprengen ebenfalls jegliche Vorstellungskraft.

Schließlich gehe ich ein Stück weg vom Globus, zum sogenannten Friedensplatz. Dort suche ich mir ein halbwegs windgeschütztes Plätzchen und packe die Dose Arctic Bier aus der Mack-Brauerei in Tromsø aus, die ich mir in Honnigsvåg für diesen Anlass gekauft habe.
Ich genieße noch ein Weilchen den Ausblick, das Panorama, die Stimmung, das Glücksgefühl. In mir macht sich eine tiefe Zufriedenheit breit. Ich habe das Ziel erreicht. Doch meine Reise, mein Abenteuer ist hier noch nicht zu Ende. Auch nicht für den Tag. Auf mich hat hier kein Bus oder Taxi gewartet, in das ich einfach einsteigen könnte. Als erstes muss zuerst noch die 30, 35 Kilometer zurück nach Honnigsvåg, zum Arctic Hotel.

Der Weg ist nochmals beschwerlich und auch nicht ganz ungefährlich. Ich muss die Anstiege nun von der Gegenseite her zurückfahren. Dazu weht ein extrem starker böiger Wind. Ich komme deshalb nur sehr langsam voran, muss den Lenker sehr fest halten, immer wieder stark gegenlenken. Und mitunter auch bergab mit aller Kraft treten, um überhaupt fahren zu können. Die Aussicht ist gigantisch. Ich fürchte aber trotzdem, von der Straße geweht zu werden.



Als ich beim Hotel ankomme, ist es bereits nach 1 Uhr Nachts. Die Eingangstür ist geschlossen, doch an der Tür hängt wieder ein Zettel mit einer Telefonnummer. Ich rufe an, und Jens öffnet mir aus der Ferne. An der Rezeption liegt mein Zimmerschlüssel bereit. Zweiter Stock. Kein Lift. Also hieve ich Katie nochmals hoch und lasse mich dann auf das Bett fallen. Ich bin todmüde, aber immer noch total aufgewühlt und hungrig. Ich packe ich aus, was ich noch habe: Eine spanische Orange, die nun die gleiche Reise wie ich gemacht hat, eine Packung Kekse und eine Flasche Cola, mache meine Wäsche, versuche zu schlafen und denke an zuhause.
So schön und befriedigend es ist, dass ich die Reise machen konnte und das selbst gesteckte Ziel erreicht habe: Nach acht Wochen freue ich mich am meisten auf zuhause. Auf meine Familie, meine Freunde. Auf die vertraute Umgebung. Auf den Sommer, die Espressomaschine, frische Wäsche, an der nicht der Duft von zwei Monaten Packtaschen haftet … die vielen Kleinigkeiten und Annehmlichkeiten des Alltags, auf die man während einer so langen Bikepacking-Tour verzichtet. Die man gegen ein Erlebnis eintauscht, das den Tausch mehr als wert ist. Es war und ist tatsächlich ein Abenteuer für das Leben.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14978276722

Weiterlesen:
Blog-Startseite
Die Tage davor
Woche 1
Woche 2
Woche 3
Woche 4
Woche 5
Woche 6
Woche 7
Woche 8
Woche 9
Woche 10