Die letzten drei Tage am Weg nach Hause. Im Duo von Ostrava im Nordosten Tschechiens durch die Slowakei nach Österreich und mit einer Eskorte durch den Radclub Eichgraben nach Hause.
TCR #64 Heimreise 8. Tag: Mit Wolfgang in die Slowakei
Mittwoch, 9. Juli. Auftakt zum Finale. Nach den langen Reisetagen mit Bahn, Schiff und Bus geht es an die letzten 450 Kilometer nach Eichgraben. Und ab jetzt nicht mehr alleine.

Wolfgang Zimmermann, mit dem ich schon so manches Radsportabenteuer erlebt habe, ist mit dem Bus nach Ostrava gekommen, um mich den restlichen Weg nach Hause zu begleiten. Die Strecke haben wir uns in drei einigermaßen gleichwertige Abschnitte eingeteilt. Heute gab es davon mit knapp 120 Kilometern den kürzesten, dafür aber den mit den meisten Höhenmetern gespickten Teil.

Von Ostrava fuhren wir zuerst länger der Oder entlang und dann Richtung Markov-Pass, einem wichtigen Grenzübergänge zwischen Tschechien und der Slowakei. Der als einer der wenigen Grenzübergänge leider auch reichlich Schwerverkehr anzieht. Ich habe in den vergangenen Wochen allerdings schon viel Schlimmeres erlebt.


Unterwegs begann es auch wieder einmal zu regnen und wir mussten unsere Regenklamotten überziehen. Was mir heute aber wenig ausmachte. Erstens natürlich, weil man zu zweit auch Regen besser aushalten kann. Und zweitens, weil es im tschechisch-slowakischen Grenzgebiet der Beskiden der Javorniky-Berge und der Wsetiner Berge um rund zehn Grad wärmer war als zuletzt im norwegischen Regen.


Die Berge waren ebenso harmlos wie der Regen. Es dauerte zwar eine Weile, bis auch der letzte von ihnen überwunden war – Wolfgang war dabei aufgrund seines viel leichteren Gepäcks klar im Vorteil – danach ging es aber dafür auch wieder flott bergab.
„LA TERRE EST FLAT“ – „die Erde ist flach“. Diesen Spruch haben Radsport-Fans am Tourmalet und am Mont Ventoux (und wohl noch auf etlichen anderen Bergen) an drn steilsten Stellen auf die Straße gesprüht. Und obwohl der Spruch in dem Moment, in dem man sich die Berge hochquält, wie ein Witz, ja fast wie Spott erscheint, ist er mir die seit ich dort war nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und er war ein Motivator für alle weiteren Berge und Anstiege auf meiner Reise.
Ich kam zu dem Schluss, dass der scheinbar absurde Sprucch in gewisser Weiscce doch bseine Richtigkeit hatte. Denn wenn es irgendwo bergauf ging, musste es zwangsläufig auch wieder bergab gehen. Malaga und Tarifa liegen beide am Meer, auf Seehöhe null. Das Nordkap selbst ist zwar etwas erhaben, aber Honningsvãg auf Magerøya liegt ebenfalls auf Seehöhe null. Zwischen dem Anfangspunkt und dem Endpunkt meiner Fahrt gab es keinen Höhenunterschied. Alles dazwischen war Makulatur. Bergauf zu fahren bedeutete nichts weiter als Schwung für die Abfahrt zu holen.

So war es auch diesmal. Nach dem Pass folgte noch ein weiterer Zacken, danach aber eine lange Abfahrt bis Bytča, die uns zum Fluss Waag und dann flach und mit Rückenwind zum Zielort Považkâ Bystrica führte.
Es war fast schade, hier schon die Fahrt zu beenden und den günstigen Wind nicht noch länger auszunützen. Aber Wolfgang hatte hier ein Zimmer gebucht. Und wir hatten uns auch viel zu erzählen. Und vielleicht gibt es morgen auch wieder guten Wind. Und wenn nicht, dann können wir uns abwechselnd Windschatten geben. Die Erde ist ohnehin flach.

Route und Daten des Tages: strava.com/activities/15058451478

TCR #65 Heimreise 9. Tag: Slovakia Express
Donnerstag, 10. Juli.
Zum Schluss wird es doch noch einmal Sommer. Heute war ein richtig schöner Tag in der Slowakei. Es gab perfektes Radwetter mit viel Sonne, gemäßigten Temperaturen und nur leichtem Wind. Wolfgang sorgte dafür, dass ich immer guten Windschatten hatte. Zu zweit ist es – nachdem ich mich neun Wochen lang alleine durch Europa gekämpft habe – doch viel einfacher. Sowohl körperlich als auch mental.

Die ersten Wochen meiner Reise hatte ich überhaupt kein Problem damit, alleine zu sein. Ganz im Gegenteil. Ich genoss es, die Tage und das Erlebnis nur für mich zu haben und freute mich über und auf all das was noch vor mir lag. Nach und nach änderte sich das jedoch. Die langen, nasskalten Tage im Norden taten ihr Übriges dazu und es mehrten sich die Momente, an denen ich es einfach nur noch hinter mich bringen wollte, ich einfach nur noch nach Hause wollte. Erst recht, als sich der Weg nach Hause auch wieder weitaus schwieriger und mühsamer gestaltete als ich erwartet hatte.
Nun bin ich wirklich froh über die Gesellschaft auf den letzten Teilstücken. Und auch froh darüber, dass dies die letzten Teilstücke des langen Weges sind. Heute noch und dann morgen die letzten 140, vielleicht auch 150 Kilometer. Ohne größere Hürden.

Vom Hotel Garni in Považkâ Bystrica aus fuhren, nein rollten wir zunächst entlang der Wenns am neuen Radweg flussabwärts. In einem Tempo, das ich alleine nie ereichen hatte können. Nach knapp zwei Stunden hatten wir bereits die ersten 45 Kilometer hinter uns gebracht. Selbst wenn das Gelände vergleichsweise einfach war: für die gleiche Distanz hatte ich auch schon drei Stunden gebraucht.

Mittags machten wir Pause bei einem Supermarkt. Auch hier zeigten sich wieder die Vorteile, nicht allein zu sein. Ich musste mir keine Sorgen um mein Rad und mein Gepäck machen, währen̈d ich zum Einkaufen im Geschäft war und hatte dann jemand, mit dem ich mich unterhalten konnte.
Danach kamen wir vom Fluss weg in hügeligeres Gelände. Die Strecke wurde anspruchsvoller, es ging permanent auf und ab und bis zum Zielort Malacky sollten wir dann auch wieder fast 900 Höhenmeter sammeln. Dennoch schien alles viel leichter zu fallen.

Zwischendurch machten wir Kaffeepause auf einer Wiese am Wegrand und hatten auch unseren Spaß daran, dass unser Weg einmal für ein Stück zu einem steinigen Pfad wurde. Das konnte mich nicht erschüttern. Ich hatte schon viel Schlimmeres erlebt, war noch mit weit schwierigerem Gelände zurechtgekommen.
Dann erreichten wir unser Tagsziel, und das war nocheimal ein ganz besonderes. Das Guest House Factory in Malacky, das im Nebengebäude einer alten Kabelfabrik liegt.

Eine außergewöhnliche Überraschung zum Ende einer außergewöhnlichen Reise. Und das ist durchaus im positiven Sinn gemeint.
Zum Abschluss des Tages stiegen wir noch mit der Besitzerin auf das Dach des Fabriksgebäudes, um den Sonnenuntergang zu beobachten.

Mein erster Sonnenuntergang seit einer ganzen Weile. „Dort ist Österreich“, sagte die Besitzerin und zeigte in Richtung der Windräder, die im Westen zu sehen waren. Der Windpark am Neusiedler See. Nur noch einen Steinwurf entfernt.

Route und Daten des Tages: strava.com/activities/15070637937

TCR #66 Heimreise, 10. Tag: Finale, Eskorte und herzlicher Empfang
Freitag, 11. Juli. Das letzte Stück auf dem Weg nach Hause. Von Malacky über die March-Grenze nach Österreich, dann durch die Stopfenreuther Au entlang der Donau nach Wien und über Tulln und Rekawinkel nach Hause.
Zum Schluss hatten gab es nochmals bestes Radwetter. Perfekt für die letzten Kilometer, die wir auch flott angegangen sind. Wolfgang gab das Tempo vor und mir Windschatten, in dem ich mit Katie so gut wie möglich zu bleiben versuchte.
Weil unser letztes Quartier in Malacky etwas abseits der Route gelegen war, hatten wir nicht wie errechnet 140 Kilometer, sondern 165 vor uns. Eine Stunde mehr Fahrzeit. War auch schon egal. Zumal ich die Fahrt richtig genießen konnte.
Dann die Staatsgrenze. Ich war zurück Österreich. Nach neuneinhalb Wochen Radreise durch Europa. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so darüber freuen kann. Es war ein schöner Glücksmoment.

Wir fuhren weiter und ich zählte dabei die Kilometer runter. Bei 65, in der Stopfenreuther Au, machten wir Mittagspause und verdrückten, was wir zuvor bei Tesco in Malacky eingekauft hatten.

Bei Kilometer 100 kamen wir nach Wien zur Donauinsel. Richtung Klosterneuburg, am Kahlenberg, hingen Gewitterwolken. Und tatsächlich kamen wir auch nochmals in den Regen, schlüpften ein letztes Mal in unsere Regenjacken. Wolfgang hielt mir tapfer den immer stärkeren Gegenwind aus der Fahrt.
An der Copa Cagrana war Zeit für eine letzte Pause und es war Zeit, auf die Heimkehr anzustoßen.

Dann ging es über den Nordsteg an den Donaukanal, wo uns bereits Alex und Thomas als erste der vom Radclub Eichgraben organisierten Eskorte für die letzten gut 60 Kilometer nach Hause erwarteten.
Auf den nächsten Kilometern stießen nach und nach weitere dazu. Wer Zeit hatte und nicht selbst gerade verreist war kam. Ich freute mich über jeden Einzelnen. Am Ende fuhren wir als schöne Gruppe Richtung Eichgraben.

Am Weg gab es noch weitere Überraschungen. In Kogl erwartete mich die Gruppe vom OMC, der Donnerstags-Freunderunde, mit einem Sixpack Arctic Beer, das extra dafür von der Mack-Brauerei aus Tromsø, bestellt worden war. Was für eine schöne Idee.

Manfred hatte eine Warnweste angezogen, die er mit „Peter unser Hero Tarifa -> Nordkap -> Nordkap -> Eichgraben“ beschriftet hatte. Und zur großen Überraschung standen dann auch noch Thomas und Claudia Hofbauer am letzten Anstieg nach Rekawinkel am Wegrand und applaudierten. Alle machten Fotos und filmten.

Mir war so viel Aufsehen um meine Rückkehr fast ein wenig zu viel. Aber natürlich freute ich mich darüber und war gerührt. Es war sensationell, so empfangen zu werden. Das hatte ich nicht erwartet.

Dann Eichgraben. Der letzte Hügel zur Kaiserhöhe, noch zweimal rechts abbiegen und ich war zuhause. Hier hatte meine Familie den Empfang vorbereitet, die Straße mit Kreide beschriftet. „Fast geschafft“. „Go Peter“. „Bravo“. „100 Meter“. „40 Meter“. „Ziel“. Ein Absperrband. Umarmungen. Freudentränen.

Was für ein Empfang. Es war schön, dass ich meine Reise machen konnte. Ein unvergleichliches Erlebnis, das meine Vorstellungskraft in vieler Hinsicht bei weitem gesprengt hatte. Ich hatte zuvor schon etliche Radabenteuer erlebt. Aber keines davon hatte mich auch nur annähernd das erwarten lassen, was tatsächlich passiert war.
Und am schönsten war es dann doch, nach den neuneinhalb Wochen wieder nach Hause zu kommen. Meine Familie und meine Freunde wiederzusehen.
Mit Erinnerungen, die ich wohl noch lange im Kopf und im Herz haben werde.








Route und Daten des Tages:
Teil 1: strava.com/activities/15078681175
Teil 2: strava.com/activities/15080892608


Epilog
Mittwoch, 16. Juli. 66 Tage, 9 1/2 Wochen lang war ich unterwegs. Die meiste Zeit davon alleine, nur in Begleitung von Katie, meinem Rad.
Nach meiner Rückkehr war ich tagelang müde und hungrig. Ich hätte ständig schlafen und essen können. Die Beine waren schwer von der Anstrengung Wochen und wenn ich schlief, dann träumte ich davon, dass ich wieder aufs Rad und weiterfahren muss, um rechtzeitig zu einem Bus oder einer Fähre zu kommen, um nach Hause kommen zu können.
Es war so schön, wieder zurück zu sein. Gleichzeitig aber fast ein wenig befremdlich. Ein ganzer Kleiderschrank voll mit Gewand. Was soll ich nur damit? Wann soll ich das alles tragen? Mein erster Gedanke war, mindestens Hälfte davon zur Kleidersammelstelle zu bringen. Und auch den Rest meines über Jahrzehnte angesammelten Besitzes großzügig zu reduzieren. Ballast abwerfen.
Es war auch Zeit, mich wieder der Realität zu stellen. Ich hatte meine Reise vor allem deshalb machen können, weil das Unternehmen, in dem ich davor beschäftigt war, geschlossen und ich vom Dienst freigestellt wurde. Deshalb hatte auch zwei Monate Zeit, um mir den Traum des Bikepacking-Trips vom südlichsten Punkt Europas bis zum nördlichsten mit dem Rad erreichbaren Punkt zu erfüllen.
Die zwei Monate waren mir anfangs wie eine Ewigkeit erschienen. Und es war auch eine extrem lange Zeit, gemessen an allem was ich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für mich selbst zur Verfügung hatte. Es war auch insofern eine lange Zeit, als der Wunsch, wieder nach Hause zu kommen gegen Ende immer größer wurde und ich im Grunde kaum mehr ein Auge für die Schönheit der Landschaft, nur noch wenig Herz mehr für mein Abenteuer hatte. Am Ende wollte ich es nur noch hinter mich bringen. Abschließen und gesund ankommen.
Zwei Monate waren allerdings, gemessen an der Strecke, die ich zurücklegen musste, wenig und sehr herausfordernd. Sie bedeuteten, dass ich im Durchschnitt jeden Tag rund 140 Kilometer fahren musste. Keiner der anderen Bikepacker, die ich am Weg getroffen habe, hatte ein derartiges Pensum. Die meisten von ihnen sind aus Deutschland oder Frankreich losgefahren. Sie fuhren an einem Tag 70, vielleicht 80 Kilometer weit und nur in Ausnahmefällen einmal 100 Kilometer. Und sie hatten für ihre Touren oft auch drei bis vier Monate Zeit, also doppelt so lange wie ich. Sie konnten mehr Pausen machen, Ruhetage einlegen oder auch irgendwo länger zum Sightseeing bleiben.
Ich hatte auch grob unterschätzt, was es bedeutet, mit einem vollbeladenen Gravelbike unterwegs zu sein, es über all die Berge, Hügel und Rampen zu bewegen, die zwischen dem Start und dem Ziel lagen. Davor hatte ich gedacht, dass meine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit bei gut 20 km/h liegen würde. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass mein Tempo – Pausen eingerechnet – eher bei 15 km/h lag.
Mit ein Grund dafür war auch, dass ich in meiner Kalkulation nicht das ganze Gepäck berücksichtigt hatte. Laut meiner Berechnung vorab wog das Rad ca. 27 Kilo. Tatsächlich war es aber 34 Kilo schwer – ohne Essen und Trinken. Vollbeladen, mit allem, was für den Tag und eventuell auch den nächsten als Proviant nötig war, kam ich daher schnell in Richtung 40 Kilo, die erst einmal bewegt werden wollen. Als ich mich gestern zum ersten Mal wieder kurz auf mein leichtes Aero-Rennrad setzte, war auch das eine sehr eigenartige Erfahrung. Ich musste richtig aufpassen, nicht zu viel Druck auf den Vorbau zu geben. Sonst wäre ein Sturz die unvermeidliche Folge gewesen.
Unvermeidlich ist auch die Frage an mich selbst: Würde ich es wieder machen? Meine Antwort darauf ist: Wenn ich wieder in derselben Situation wäre, dann auf jeden Fall. Etwas Ähnliches hatte ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Und ich bin froh, dass ich die Gelegenheit genutzt habe.
Die Erfahrungen und das Wissen, das ich während der Reise gesammelt habe, sind prägend. Sie zeigen mir aber auch, dass ich mir, wenn ich nochmals die Gelegenheit für das Abenteuer hätte, noch mehr Zeit dafür nehmen sollte. Um weniger unter Druck zu sein. Um nicht auch bei wirklichem Sauwetter zehn, zwölf Stunden lang fahren zu müssen. Sondern einfach einmal die Beine hochlagern und richtig ausruhen können.
Von meiner Abfahrt in Malaga am 7. Mai bis zur Ankunft am Nordkap am 1. Juli hatte ich genau zwei Ruhetage. Und selbst die waren keine richtigen Ruhetage. Am ersten Tag, dem 26. Mai, war ich durch eine Magenverstimmung ausgeschaltet worden. Ich hatte das Abendessen (eine echte Ente …) nicht vertragen, mich einige Male übergeben müssen und es war mir nicht möglich, weiterzufahren. Der zweite Tag, der 14. Juni, war der Tag der Überfahrt von Kiel nach Oslo, die 20 Stunden dauerte. Sonst war ich jeden Tag im Schnitt zehn Stunden lang am Rad unterwegs.
Womit ich bei den Facts wäre, nach denen auch schon gefragt wurde:
- Gefahrene Distanz: 8.012 km
- Höhengewinn: 68.769 Hm
- Maximaler Strava-Fitnesswert: 343 (bei der Ankunft am Nordkap am 1. Juli)
- Strava-Fitnesswert bei der Ankunft zuhause: 319
- Gewicht Fahrrad: 34 kg (ohne Essen und Trinken)
- Eigenes Gewicht vor der Reise: 72,0 kg
- Eigenes Gewicht nach der Rückkehr: 69,0 kg
- Täglicher Kalorienverbrauch: ca. 4.700 Aktiv-Kalorien
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