TCR – Trans Continental Ride


Eine Rad-Reise, kein Rad-Rennen. Meine Fahrt von Malaga nach Tarifa, dem südlichsten Zipfel der iberischen Halbinsel und des europäischen Festlandes über Umwege und etliche Gebirgspässe ans Nordkap, Europas nördlichsten befahrbaren Punkt. Und von dort irgendwie zurück nach Hause.

Jede Geschichte hat eine Geschichte. Diese beginnt im Februar 2023. Ich hatte mich – wieder einmal – mit dem Covid-Virus infiziert, war einige Tage bettlägrig und vertrieb mir die Zeit, indem ich das Internet nach neuen Rad-Abenteuern durchsuchte. Touren  und Berge, die ich fahren könnte, wenn ich wieder gesund wäre.

Dabei stieß ich auf die Website von „NorthCape4000„, einem unsupported Bikepacking Rennen, das es seit ein paar Jahren gibt. Die Zahl 4.000 steht dabei für die Länge der Strecke in Kilometern, die Route führt vom Gardasee über Ungarn, die Slowakei, Polen, das Baltikum und Finnland zum Nordkap. Irgendwie blieb das hängen. Wobei das Rennen aber doch nicht ganz mein Ding war. Ich fand die Route nicht besonders attraktiv und fragte mich, warum ich vom Gardasee losfahren sollte. Der war für mich schon zweimal Ziel einer Mountainbike-Transalp – ein traumhaftes Erlebnis und bleibende Erinnerung. Aber eine Fahrt ans Nordkap musste doch nicht am Gardasee beginnen. Und als Rennen sah ich das noch viel weniger. Viel mehr als ein großes Abenteuer.

Von der Idee zur Route

Ich begann daher, meine eigene Route zu planen. Uns als Startpunkt gab es für mich dabei zwei Optionen. Entweder würde ich direkt von der eigenen Haustür aus losfahren. Oder – wenn ich schon irgendwohin reisen würde – vom südlichsten Punkt des europäischen Festlandes, von der Straße von Gibraltar.

Ich hatte keine Ahnung. Weder wie weit es von Gibraltar zum Nordkap ist, noch wie lange eine solche Fahrt mit dem Rad dauern würde. Also erstellte ich eine erste, ungefähre Route. Danach war ich schlauer.

Ich wusste, dass der südlichste Zipfel Europas nicht Gibraltar, sondern das ein Stück weiter westlich gelegene Tarifa ist. Dass die Strecke gut 8.000 Kilometer lang ist und längs durch Spanien, über die Pyrenäen, durch Frankreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen zum Nordkap führt. Und es war mir bewusst geworden, dass ich von dort auch irgendwie wieder zurück nach Hause kommen müsste. Was eine weitere Herausforderung war.

Der Gedanke ließ mich nicht mehr los und ich nahm mir vor, mir zu meinem nächsten runden Geburtstag zwei, drei Monate Urlaub nehmen und das Abenteuer in Angriff nehmen.

Ich musste nicht so lange warten. 2025 ergab sich eine berufliche Auszeit. Das Unternehmen, in dem ich beschäftigt war, wurde geschlossen und ich bis zum offiziellen Termin vom Dienst freigestellt. Da hatte ich meine zwei, drei Monate Urlaub. Es war Zeit, das Abenteuer in Angriff zu nehmen.

Begeisterung und Zweifel

Als sich die Gelegenheit eröffnet hatte, begann ich mich intensiver mit dem Vorhaben zu beschäftigen. Und je mehr ich das tat, desto unsicherer wurde ich. War das nicht doch eine Nummer zu groß für mich? Eine übermäßige Spinnerei?  Undurchführbar, erst recht alleine, als Bikepacking-Tour mit einem schwer pepackten Reiserad?

Wochenlang wog ich das Für und Wider ab, hatte schlaflose Nächte und sprach die Idee immer wieder einmal im Freundes- und Familienkreis an, um die Reaktionen darauf auszutesten. Die reichten von „Nein! Mache das nicht!“ über „Na bumm, was sagt deine Frau dazu?“ und „Du hast einen Vogel!“ bis hin zu „Geil, richtig geil!“

Einige Monate davor hatte ich Wolfgang Fasching kennengelernt, der als Sportler in seinem Leben alles durchgezogen hat, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Er hat unter anderem mehrmals das Race Across America gewonnen, war auf den Gipfeln aller Achttausender und hält als Radfahrer auch den (inoffiziellen) Weltrekord für die Strecke von Gibraltar ans Nordkap. Seine Marke, die er bei seinem Projekt „Europe Coast 2 Coast“ aufgestellt hat, liegt bei 10 Tagen, 20 Stunden und 47 Minuten. Allerdings war seine Route „nur“ 5.600 Kilometer lang, was bedeutete, dass er täglich rund 550 Kilometer gefahren ist. Wobei der ein Begleitfahrzeug mit einem Team dabei hatte, das Essen, Trinken und Kleidung transportierte, ihn unterwegs coachte und mentale Unterstützung gab. Seine Rekordfahrt ist natürlich mächtig beeindruckend und eine massive Leistung. Aber nicht das was ich mir in den Kopf gesetzt hatte oder erreichen wollte.

Ich ging zu einem seiner Vorträge, und dabei erzählte er die Geschichte einer Frau, die den lange gehegten Wunsch hatte, einmal im Leben mit ihrem Mann auf den Gipfel des Kilimandscharo zu kommen. Sie hatte ihn darauf angesprochen und gefragt, ob er meinte, dass die beiden das schaffen können. Woraufhin er geantwortet hatte: „Ich weiß nicht, ob Sie das können. Aber Sie müssen hinfahren. Wenn Sie das nicht machen, werden Sie nicht auf den Kilimandscharo kommen.“

Für mein Vorhaben bedeutete das: „Just do it.“ Mache es einfach, versuche es zumindest. Auch, wenn es garantiert nicht leicht wird, ich unterwegs leiden und mich selbst für meine Idee verteufeln würde. Aber ich würde es mir nie verzeihen, es nicht zumindest versucht zu haben.

Das Projekt wächst

Also ging ich daran, meine Route zu planen. Der kürzeste und schnellste Weg interessierte mich wenig. Ich wollte keine möglichst gerade Linie durch Europa ziehen, sondern die Fahrt so attraktiv und erlebnisreich wie wie möglich gestalten. Mir dabei außerdem noch einige weitere Radsport-Lebensträume erfüllen: Die Pyrenäen von Westen nach Osten abzufahren, dabei möglichst viele der großen Pässe mitnehmen, die man von der Vuelta und der Tour de France kennt. Den Aubisque, den Tourmalet, den Aspin. Ich wollte auch nach Andorra und den Mont Ventoux befahren. Und als Sahnehäubchen obendrein noch einige Tour de France Klassiker der Westalpen – Alpe de Huez, Galibier usw. – mitnehmen.

Die Route sollte außerdem so weit als möglich auf wenig befahrbaren Nebenstraßen verlaufen und im Norden dann entlang der norwegischen Fjord-Küste. Und weil ich am Ende vom Nordkap auch irgendwie wieder nach Hause kommen musste, plante ich auch für die Rückfahrt. Vom Kap längs durch Finnland, über das Baltikum, Polen und die Slowakei bis nach Wien, zum Schloss Schönbrunn.

Heraus kam ein Monster einer Route. Eine ca. 12.500 Kilometer lange Strecke, gespickt mit rund 115.000 Höhenmetern. Das, bedeutete, dass ich ungefähr dreimal die Distanz der Tour de France fahren musste. Oder in etwa so viel wie ich erst ein einziges Mal in einem ganzen Jahr gefahren war. Nur diesmal würde ich dafür gerade einmal zwei Monate Zeit haben.

Die geplante Route – ein Abenteuer in 60 Etappen.

Der Reiz des Abenteuers

Es dauerte mehrere Wochen, bis ich mit den Routenplanungtools von Garmin, Strava und Komoot und dem Quäldich-Passlexikon eine Strecke erstellt hatte, die mir zumindest machbar erschien und alle meine Traumziele enthielt. Unter den 60 Teilstücken war kaum eines mit weniger als 200 Kilometern und einige Bergetappen waren richtige Kracher mit mehr als 4.000 Höhenmetern.

Das alles in der geplanten Zeit mit einem schon ohne Essen und Trinken mehr als 30 Kilo schweren Reiserad fahren? Mit dem Wetter als große, unplanbare Unbekannte? Ich wusste: Wenn ich das Projekt angehe, gibt es vom ersten Tag an keine Komfortzone. Ich werde hart trainieren müssen, um fit genug dafür zu sein. Und trotz des Trainings und der akribischen Planung müsste ich flexibel bleiben. Immer eine Alternative und eine Ausweichroute in der Hinterhand haben. Falls in den Bergen das Wetter schlecht ist, falls es mir selbst schlecht geht oder falls sonst irgendetwas passiert, das ich nicht vorhersehen konnte.

Aber schließlich wäre ich nicht aus der Welt, sondern in Europa unterwegs. Im Fall des Falles hätte ich die Möglichkeit, die Route zu vereinfachen, einen Ruhetag einzulegen, abzukürzen oder auch – wenn es denn sein muss – auch abzubrechen und einen Zug nach Hause zu nehmen. Für den Notfall wäre ich Mitglied beim Alpenverein und beim ÖAMTC und damit auch der Heimtransport abgesichert.

Ich kontaktierte Wolfgang Fasching und fragte ihn, ob er als Langstrecken- und Nordkap-Fahrer vielleicht Ratschläge oder Tipps für mich parat hat. Aber mehr als mir von dem sieben Kilometer langen Nordkap-Tunnel zu erzählen, der 230 Meter unter dem Meer verläuft und in dem es „kalt wie in einem Kühlschrank“ ist, konnte auch er nicht, weil bei seinen Fahrten selbst nie „unsupported“, also ohne Begleitfahrzeug und Crew unterwegs war. Seine Antwort war dennoch sehr motivierend. Er schrieb:

Ich finde dein neues Vorhaben wirklich beeindruckend und bewundere deinen Mut sowie deine Begeisterung, ein so großes Projekt in Angriff zu nehmen. Ich habe keinerlei Zweifel an deiner Fitness – bei einer solchen Herausforderung kommt es ohnehin darauf an, sich einfach darauf einzulassen und den Weg auf sich wirken zu lassen. Die von dir gewählte Streckenführung finde ich hervorragend, sie verspricht eine abwechslungsreiche und anspruchsvolle Tour. Die vielen Länder die dich erwarten, werden sicherlich für einige unvorhergesehene Erlebnisse sorgen – aber genau das macht ja den Reiz eines solchen Abenteuers aus.
Ich bin mir sicher, dass du mit unvergesslichen Eindrücken und Erfahrungen zurückkommen wirst. Vermutlich wirst du deine Reise auch in Wort und Bild dokumentieren? Ich bin jetzt schon gespannt auf deine Erlebnisse und Berichte!

Wolfgang Fasching

Die Packliste

Meine davor längsten Radreisen waren zwei einwöchige Mountainbike-Transalps und eine Fahrt von zuhause (Eichgraben im Wienerwald) nach Split (Kroatien). Im Sommer 2021 bin ich die 900 Kilometer lange Strecke in drei Tagen gefahren. Damals hatte ich aber nur sehr leichtes Gepäck dabei, das einfach in einem Ortlieb Seat Pack untergebracht werden konnte. Im Grunde hatte ich bei der Fahrt nach Kroatien nur leichtes Gewand für den Abend, eine Wind- und Regenjacke, einen Kulturbeutel, ein Paar Flip-Flops, meine Geldtasche, mein Smartphone und meinen Garmin dabei. Ich hatte zwei Unterkünfte vorab gebucht, wusch dort abends das verschwitzte Rad-Gewand und am nächsten Morgen ging es wieder weiter. Ich bin auch schon an einem Tag 400 Kilometer weit gefahren, einmal die Donau von Passau bis Bratislava und ein zweites Mal von zuhause nach Budapest.

Bei meiner Nordkap-Tour war die Herausforderung aber ganz anders. Bei einer Fahrt längs durch Europa, von Südspanien bis über den Polarkreis musste ich für alle Fälle vorbereitet sein. Ich brauchte nicht nur ein geeignetes Rad, sondern auch ein Zelt, einen Schlafsack, eine Mini-Küche, Kleidung für zwei Monate und jedes Wetter sowie Packtaschen, um alles am Rad unterbringen zu können. Und jedes einzelne Gepäcksstück musst möglichst klein und leicht sein. Schließlich wollte ich auch über die großen Gebirgspässe der Pyrenäen und der Westalpen.

Meine Excel-Tabelle mit den Etappen der Route bekam also ein weiteres Blatt für meine Packliste. Jedes einzelne Stück wurde dort notiert, inklusive seines Gewicht und des Preises. Das Ziel war, alles dabei zu haben, das ich unbedingt brauche. Und keinen unnötigen Ballast. Trotzdem hatte meine Packliste am Ende 196 Zeilen. Das Gewicht meiner Ausrüstung addierte sich – inklusive Fahrrad – auf über 30 Kilo die Kosten addierten sich auf 7.200 €. Wobei ich längst nicht alles neu kaufen  musste.

Zunächst hatte ich noch ein Gesamtgewicht von 25 Kilo angepeilt. Das war aber eine zu niedrige Messlatte. Am Ende landete ich bei rund 34 Kilo. Davon entfielen etwa 12 auf das Rad mit Pedalen, Beleuchtung und Reparatur-Zubehör. Alleine die Packtaschen wogen weitere vier Kilo, nochmals drei auf die Radkleidung (kurz, lang, Regen), zwei Kilo auf zivile Kleidung, und weitere drei auf mein mobiles Schlafzimmer, das Zelt, den Schlafsack, die Unterlage usw. Dazu kamen noch meine Koch-Ausrüstung, Hygieneartikel, der Erste-Hilfe-Pack, technisches Equipment und diverser Kleinkram. Mit Essen und Trinken und meinem eigenen Körpergewicht kam ich damit auf rund 110 Kilo, die ich bergauf, bergab durch ganz Europa bewegen musste.

Das Rad: Gravel-Travel

Sowohl finanziell als auch dem Gewicht nach war der größte Brocken darunter war das Rad. Ich hatte zwar bereits vier Räder im Keller, aber keines davon war für eine solche Bikepacking-Tour geeignet. Dafür brauchte ich ein Gravel-Bike, an dem ich auch meine Packtaschen montieren konnte. Mit einer mechanischen Schaltung, um keinesfalls an einem abgelegenen Ort in Verlegenheit zu kommen, den Akku einer elektronischen Schaltung aufladen zu müssen. Oder vielleicht sogar zu riskieren, dass ein Ladekabel oder ein Akku unterwegs verloren geht oder kaputt wird.

Meine Wahl fiel schließlich auf das KTM Strada X Elite. Das hatte zwar etwas weniger Montagepunkte um Packtaschen direkt am Rahmen montieren zu können als andere Modelle, es war aber leistbar und mit einer mechanischen Schaltung ausgestattet. Zum Montieren der Packtaschen würde ich schon eine Lösung finden. Entweder mit speziellen Halterungen oder eben nachträglich weitere Montagepunkte anbringen. Wofür mir dann allerdings die Zeit fehlte

Der Countdown

Bis zum Start meiner Tour waren noch zehn Wochen Zeit. 100 Tage, in denen es noch allerhand zu erledigen gab.

Das ganze Equipment meiner Packliste musste besorgt werden. In der Folge verging kaum ein Tag, an dem nicht wieder ein neues Paket bei uns zuhause ankam.

Die Zeit war auch nötig, um mich nicht nur mental, sondern auch körperlich auf meine Tour vorzubereiten. Zum ersten Mal in meinem Leben engagierte ich einen Privatcoach, der ein auf mich abgestimmtes Trainingsprogramm bis zum Beginn meiner Fahrt erstellte.

Der Countdown für das Projekt „Trans-Continental-Ride“ hatte begonnen. Start am 7. MAI 2025 am Flughafen Malaga.

TCR Live-Blog

Der Blog zu meiner Tour: Ich habe täglich gebloggt und regelmäßig via Social Media gepostet. Hier sind die Links dazu: