Die sechste Woche des TCR. Vom deutschen Flachland nach Kiel. Von dort aus mit der Fähre nach Oslo und dann ins norwegische Landesinnere auf dem Weg nach Trondheim.
TCR #36 Ins Flachland eintauchen
Mittwoch, 11. Juni.
In letzter Zeit bin ich immer wieder an Orte gekommen, die mich stark an zuhause erinnerten. Das war schon in Frankreich so, als ich am Doubs entlang fuhr. Dort ähnelte die Landschaft zeitweise so stark dem oberen Donautal, dass ich hinter der nächsten Biegung fast schon die Schlögener Schlinge erwartete. Das Hotel Schlögen, in dem Jones, der Mann meiner Nichte Lisa, arbeitet und von wo das Haus meiner Schwiegermutter nur noch einen Steinwurf entfernt ist. Es wäre nett gewesen, hätte ich auf meiner Fahrt dort auf Kaffee und Kuchen vorbeischauen können.

Heute, nachdem ich in Höxter losgefahren war – ich hatte dort im Gästehaus der Weserbergland-Klinik übernachtet – erinnerte die Landschaft zeitweise so stark an den Wienerwald, dass ich das Gefühl hatte, nur zuhause, auf einer kurzen Ausfahrt unterwegs zu sein. Noch ein, zweimal abbiegen und ich wäre daheim, in Eichgraben. Könnte dort duschen, auf der Terrasse in der Sonne sitzen, einen Kaffee trinken, eine Umarmung und einen Kuss bekommen und vielleicht gar nicht mehr weiterfahren müssen.

Das Fahren war in den ersten Stunden auch etwas mühselig. Und das hatte technische Gründe. Bereits seit ein paar Tagen hatte ich daran gedacht, dass es demnächst an der Zeit sein müsste, meine Fahrradkette zu tauschen. Kurz nachdem ich heute losgefahren war, begannen dann die Gänge zu springen, die Schaltung funktionierte nicht mehr richtig. Ich konnte mir nicht erklären, welches Problem es nun gab. Also suchte ich nach einer Fahrradwerkstatt am Weg und fand auch schnell eine, den Trek-Store in Hameln. Dort hatte man ein Herz für mich Bikepacker auf Durchreise wurde Katie schnell auf den Montageständer gehievt und einem Schnellcheck unterzogen.

Die Ursache für das Problem war dann auch bald gefunden. Das Schaltseil war hinüber, war schon fast komplett abgerissen und hing nur noch an ein paar Drahtfäden. Ich hatte zwar für den Notfall ein Ersatzseil in der Werkzeugtasche, war aber froh, dass ich das Austauschen nicht selbst machen musste. Außerdem wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, das Schaltseil zu kontrollieren. Katie bekam dann auch gleich noch ein Schnellservice und ich einen Kaffee und Kekse. Danke dafür!
Mangels Zeit und Ersatzteile war es allerdings nicht möglich, auch noch den Antrieb zu tauschen – die Schaltkassette, das Kettenblatt und die Kette. Das, so der Rat, sollte ich dringend bei nächster Gelegenheit – am besten in Hamburg – im Zuge eines großen Service machen lassen. Ich hatte ohnehin überlegt, in der Stadt einen Ruhetag einzulegen. Das bietet sich jedenfalls an.
Ich konnte jedenfalls weiterfahren. Die Schaltung funktionierte wieder einwandfrei, und die rund 200 km bis Hamburg würde ich auch noch kommen.
Dann begann sich endlich – nach den vielen Schlechtwettertagen auch die Sonne mehr und mehr durchzusetzen. Und mit der Sonne wurde es am Nachmittag auch spürbar wärmer. Immer noch frisch genug für ein Langarmtrikot, aber warm und sonnig genug, dass das Fahren wieder richtig Spaß machte. Und auch wieder einige andere auf ihren Rennrädern unterwegs waren.

Schließlich gin es noch einmal bergauf. Über den Nienstädter Pass, der im Grunde nur eine kleine Erhebung ist, aber einen markanten Punkt darstellt: hat man ihn und seine Kehren (die an den Riederberg erinnern) überwunden, rollt man auf der anderen Seite ins Flachland, das sich ohne weitere Erhebung bis zur Nordseeküste erstreckt. Auf den fast 400 Kilometern, die es von hier weg bis Flensburg an der Dänischen Grenze noch sind, gibt es keinen weiteren Anstieg mehr. Ich hatte die Berge – Spaniens Sierras, die Pyrenäen, die Alpen, das Deutsche Mittelgebirge – hinter mir gelassen.

Das Fahren wird in den nächsten Tagen also einfacher werden. Und es kam auch gleich wieder ein anderes Fahrgefühl auf. Erst recht, als ich zum ersten Mal seit etlichen Tagen wieder einen Sonnenuntergang bei wolkenlosem Himmel erlebte. Ich fühlte mich gut. Es war schön, zu fahren. Noch rund 100 Kilkmeter bis Hamburg. Katie, wir machen das!

Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14769597598

TCR #37 Hamburg. Service für Katie und traurige Gedanken
Donnerstag, 12. Juni.
Meine Reise beansprucht nicht nur mich, sondern auch Katie enorm. Als ich sie in Malaga aus dem Karton holte und für die Fahrt zusammenbaute, war sie noch fabrikneu. Nur gut ein Monat später sind die Verschleißerscheinungen so groß, dass sie dringend zum Service musste. Der Antriebssatz ist komplett durch. Die Kette, das vordere Kettenblatt und die Schaltkassette müssen getauscht werden. Der Hinterreifen ebenso. Es ist bereits der dritte auf den 4500 Kilometern, die ich bisher zurückgelegt habe. Normalerweise halten Reifen etwa doppelt so lang, aber das hohe Ladegewicht und die zahlreichen Schotterstraßen fordern eben ihren Tribut.
Mein Ziel für heute war daher, nach Hamburg zu kommen und Katie zum Service zu bringen, damit ich sie morgen wieder abholen und weiterfahren kann.

Das Ziel habe ich erreicht, allerdings gerade noch rechtzeitig. Ich hatte mich nämlich mit dem Abschätzen der Entfernung von Bothmer, wo ich die letzte Nacht verbracht hatte, grob vertan. Ich dachte, dass es nur rund 100 Kilometer nach Hamburg wären. Dabei waren es jedoch 150.
Im Rad Race Shop, den ich als erstes ansteuerte, hatte ich kein Glück. Die Werkstatt war ausgelastet, ich wurde wieder weggeschickt. Ein paar Straßen weiter bei Suicycle hatte man dennoch auch kurz vor Ladenschluss ein Herz für mich. Katie kam dort in die Werkstatt. Morgen gegen Mittag kann ich sie frisch gewartet wieder abholen.
Die Weiterfahrt nach Hamburg verlief recht glatt und problemlos. Das Wetter war ideal. Die Sonne schien, die Temperatur stieg tagsüber auf rund 25 Grad, der Wind kam aus OSO und war oft ein guter Begleiter. Nur in der Nähe von Hamburg musste ich gelegentlich gegen ihn arbeiten.

Die meiste Zeit des Tages war der Wind jedoch nur eine leichte Brise.

Mein Weg führte mich weiter durch das Flachland, öfter einmal etliche Kilometer geradeaus. Und die meiste Zeit entlang kleiner Straßen oder asfaltierter Begleitwege. Die gibt es in Deutschland – soweit ich das jetzt anhand meiner Route beurteilen kann – an fast allen stärker befahrener Straßen und sind zumeist auch in recht gutem Zustand. Jedenfalls so gut, dass es sich bei meinem Reisetempo lohnt, sie zu nutzen statt mich mit dem motorisierten Straßenverkehr auszusetzen und zu stressen.

Ich hatte viel Zeit, nachzudenken, bis ich in Hamburg war. Und die meiste Zeit musste ich dabei an meine Freunde Veronika und Wolfgang und ihren Sohn Felix denken, der vor ein paar Tagen verstorben ist und heute zuhause in Eichgraben beerdigt wurde.
Herzstillstand. Plötzlich und unerwartet aus dem Leben gerissen. Wie schrecklich grausam. Es ist das Furchtbarste, das man sich als Vater, als Mutter vorstellen kann. Das eigene Kind zu verlieren und zu Grabe tragen zu müssen. Bei dem Gedanken daran kamen mir die Tränen. Ich versuchte ihn zu verdrängen, doch er kam immer wieder. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn dieser Schicksalsschlag mich treffen würde.

Ich hatte Felix als kleinen Jungen kennengelernt. Er war ein quirliger, frecher und unerschrockener Bub, der unglaublich schnell sprechen konnte. Diese Unerschrockenheit behielt er bei, er hatte es damit auch nicht immer leicht. Doch so sind eben Kinder. Sie haben ihren eigenen Kopf, ihr eigenes Leben. Man kann für sie nur das Beste hoffen und wünschen, erst recht, wenn sie erwachsen sind. Es ist traurig, dass sein Leben, gerade als er darin wieder einen Weg gefunden zu haben schien, zu Ende war.
Ich musste eine Pause machen. Eine lange Minute der Trauer einlegen. Auch meine eigene Traurigkeit loswerden. Der Tod gehört zum Leben. Nichts währt ewig. Auch wenn wir das glauben und den Gedanken an das Ende verdrängen. Und das Leben ist leider kurz. Viel zu kurz, um etwas zu tun, dass es nicht wert ist, Zeit dafür zu verschwenden. Aus Pflicht- oder Verantwortungsbewusstsein.
Es gibt diesen schönen Smiths-Song „Heaven Knows I’m Miserable Now“ mit der grandiosen Textzeile: „In my life, why do I give valuable time
To people who don’t care if I live or die?“ Ja. Warum verschwenden wir unsere wertvolle Zeit für Dinge, die es nicht wert sind? Für irgendwelche Ziele anderer Menschen? Wenden unsere Energie auf für eine Sache, die im Grunde völlig belanglos ist?
Am Ende, das oft unerwartet kommt, zählt was wir getan haben. Nicht was wir tun wollten. Es sind die Momente des Glücks und der Zufriedenheit, die uns bereichern. Und wir müssen alles tun, um so viele Glücksmomente wie möglich in unser Dasein, in das Heute zu bringen.
Erst als ich mich wieder gefasst hatte, konnte ich weiterfahren. Buxtehude, Hamburg. Der Hafen. Unheimlich viel Verkehr. Und wie bei jeder größeren Stadteinfahrt ein Slalom durch zahlreiche Kreisverkehre.

Dann der Elbtunnel. Ein Aufzug bringt Fußgänger und Radfahrer in den Elbtunnel, der die kürzeste Verbindung zwischen Hafen und der Stadt darstellt. Es ist schon ein besonderes Erlebnis, auf diese Weise in eine Stadt zu kommen.
Dann die Innenstadt. Radservice. Ein Hotelzimmer im St. Joseph Hotel, direkt an der Großen Freiheit, der Partymeile der Stadt. Beim Check-in werde ich gefragt, ob ich ein Zimmer Richtung Straße oder Richtung Innenhof möchte. Ich entscheide mich ganz schnell für den Innenhof und kann froh sein, dass ich mich so entschieden habe. Kurz nachdem ich eingecheckt habe beginnt nämlich die große Sause am Kiez. Auch im Zimmer mit Fenster zum Hof ist das Wummern der Musik die ganze Nacht, bis um sechs Uhr in der Früh zu hören. Aber wenigstens so gedämpft, dass ich trotzdem gut schlafen kann.

Nach der Wäsche gehe ich kurz mal raus, um irgendwo etwas zu essen. Und spaziere dabei auch ein wenig über den Kiez, wo bereits brutales Halligalli ist. Ich finde das fast ein wenig erschreckend. Die „Große Freiheit“ beeindruckt mich wenig. Gibt mir nichts. Große Freiheit ist für mich nicht Party-all-night. Es ist vielmehr das tun und erleben zu können, was ich möchte. So lange das möglich ist. Meine Reise. Eine große Freiheit. Sobald Katie frisch serviciert ist, geht sie weiter. Meine Reise. Meine Fahrt. Mein Leben.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14778386828

TCR #38 Kiel. Touchdown an der Ostsee. Bereit zur Überfahrt nach Oslo
Freitag, 13. Juni. Mir bleibt noch ein Monat Zeit für mein Transkontinental-Abenteuer. Und weil die Zeit begrenzt ist und Hamburg ein strategisch günstiger Punkt dafür war, habe ich, während Katie beim Service war, meine Optionen für die weitere Fahrt abgewogen.





Der Schluss daraus war, dass es vernünftiger ist, von Hamburg aus nach Kiel und von dort mit der Fähre direkt nach Oslo zu fahren statt nach Frederikshavn und weiter über Göteborg nach Oslo zu kommen. Andernfalls hätte ich das Ziel Nordkap zwar noch innerhalb meines Zeitrahmens erreichen können, aber ich muss schließlich auch noch zurück nach Österreich.
Ich habe dann auch gleich Nägel mit Köpfen gemacht und Fährtickets für Katie und mich gekauft. Abfahrt morgen, Samstag 14:00 Uhr. Ankunft übermorgen, Sonntag 10:00 Uhr. Als Bonus springt dabei für mich ein ohnehin schon überfälliger Ruhetag heraus. Der Nachteil ist allerdings, dass die Überfahrt ganz schön teuer ist. Die 20 Stunden lange Überfahrt kostet mich 454,59 €.

Für den heutigen Nachmittag – Katie war um 13:30 bereit abgeholt zu werden – hatte ich daher ein klares und leicht erreichbares Ziel: Kiel, die nur rund 100 Kilometer von Hamburg entfernte Ostsee-Hafenstadt.
Ich ließ mir Zeit bei der Fahrt. Genoss das schöne Wetter, die Sonnenstrahlen und die Landschaft.

Alles lief glatt. Es war ein guter, entspannter Tag. Die Landschaft grundsätzlich flach, nur leicht hügelig. Auf 106 Kilometer kamen nur 380 Höhenmeter zusamen. „Bergauf“ ging es eigentlich nie. Ich rollte durch das Land. Es gab keinen Grund zur Eile.

Und dann war ich auch schon in Kiel. Am Hafen. Ich hatte wieder einen Landmark-Punkt erreicht. 4600 Kilometer nach dem Beginn meiner Reise in Malaga hatte ich das europäische Festland von der Atlantikküste Spaniens bis zur Deutschen Ostseeküste durchquert.

Ich fühlte mich gut. Ein wenig stolz auch. Und zufrieden. Ein Gefühl, das ich gerne ein Weilchen auskostete. Und das ich auf der weiteren Fahrt hoffentlich noch einige Male erleben werde.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14789217743

TCR #39 Chillen auf der Fähre nach Oslo
Samstag, 14. Juni.
Beine hoch. Entspannen. 20 Stunden dauert die Fahrt auf der Fähre von Kiel nach Oslo. Ich nütze die Zeit zum Nichtstun und mit jeder Stunde die vergeht spüre ich, wie gut mir das gut.
Ich nütze die Zeit auch, um die Erlebnisse der vergangenen Wochen Revue passieren zu lassen. Es ist vielleicht schwer vorstellbar, aber dafür hatte ich bisher eigentlich keine Gelegenheit.

Einerseits, weil täglich wieder neue Eindrücke auf mich eingeprasselt sind. Aber auch, weil alleine, unsupported mit dem Rad wochenlanag durch ganz Europa zu fahren eben viel mehr bedeutet als bloß Rad zu fahren. Mein Transcontinental-Ride ist ein gewagtes Unternehmen, bei dem ich Investor, alleinverantwortlicher C-Level-Manager in allen Positionen, Logistiker, Controller, ausführender Mitarbeiter und Facility-Manager in Personalunion bin.

Normale Tage sind dabei ausgefüllt von frühmorgens bis spätabends. Vom Trocknen der meistens noch feuchten Kleidung angefangen, dem Verstauen des Gepäcks am Rad, Frühstück, Essen und Trinken für den Tag organisieren und die weitere Route zu bestimmen. Bis es darum geht, wieder einen Schlafplatz zu finden, den Schweiß, Staub und Schmutz aus der Tag getragenen Kleidung herauszuwaschen, mich selbst ebenfalls davon zu befreien und um dann noch meinen Kalorien-Haushalt halbwegs ins Lot zu bringen.
Seit Beginn meiner Reise liegt mein täglicher Aktiv-Kalorienverbrauch zwischen 4000 und 5000 Kalorien. Ergänzt um meinen Grundumsatz ergeben sich daraus 7000 bis 8000 Kalorien, die ich jeden Tag aufnehmen müsste. Was völlig unmöglich ist. Und zur Folge hat, dass selbst die hartnäckigsten Fettpölsterchen, die ich trotz intensivem Training in den Jahren davor nie los wurde, komplett verschwunden sind.
Um den Day-off richtig entspannt verbringen zu können habe ich mich in Kiel mit reichlich Proviant für die Überfahrt eingedeckt. An Bord der Fähre gibt es zwar auch etliche Restaurants und Shops, ich finde es aber viel entspannender, mich hier um nichts mehr kümmern zu müssen.

Am Nachmittag habe ich noch das Schiff ein wenig erkundet und war danach noch eine Weile am Sonnendeck.

Seither hat mich jedoch nichts mehr aus meiner Kabine gelockt. Essen, trinken schlafen. Die Wetterprognose und die Route für die nächsten Tage und Wochen durchgehen. Das reicht mir als Beschäftigung für den heutigen Tag.

Rund 2500 Kilometer durch Norwegen sind es noch bis zum Nordkap. Ich freue mich darauf. Und nach allem was ich bisher auf meiner Reise erlebt habe, bin ich absolut zuversichtlich, dass ich dort auch ankomme. Und auch noch den Weg nach Hause finde. Was auch immer noch geschieht.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14793956582

TCR #40 Norwegian Wood
Sonntag, 15. Juni.
Es war gar nicht so einfach, nach dem Tag Pause wieder richtig in den Rhythmus zu kommen. Zumal sich auch der Start etwas gezogen hat. Es dauerte eine Weile, bis ich nach der Überfahrt an Land war und wieder die Orientierung hatte. Erschwerend kam dazu, dass auch meine Navi Probleme hatte, sich zurechtzufinden. Sie warf den ganzen Tag lang immer wie die Meldung „Streckenabweichung“ aus und zeigte am Display nicht existierende Wege an.

Um etwas Schwung zu holen gönnte ich mir zunächst noch ein Frühstück in Oslo und widmete mich erst danach dem Pfadfinden.

Das wäre im Grunde gar nicht so schwierig gewesen, denn hauptsächlich folgte meine Route heute der E4 und dem Radweg R4 entlang der Schnellstraße.

Ganz so einfach war es aber doch nicht, denn der die Straße begleitende Radweg endete immer wieder unvermittelt die Weiterfahrt auf der E4 war für Radfahrer dann oft verboten.
Das führte mich dann ins norwegische Holz und auf nicht asfaltierte Wege. Schön fürs Auge und gut für die Muskeln, aber schlecht fürs Tempo. Obendrein zogen zwischendurch auch noch ein Gewitter und einige weitere Regenschauer durch.

Ich hatte zugegeben auch wenig Lust, flott zu fahren und gerne längere Pausen gemacht. Außerdem hatte ich auch deshalb keine besondere Eile, weil ich wusste, dass es sehr lange hell sein würde. Sonnenuntergang würde erst gegen 23:00 Uhr sein. Ich konnte also so lang fahren wie ich wollte. Irgendein Platz zum Schlafen würde sich schon finden. Zumal man in Norwegen jederzeit und überall ein Zelt aufschlagen darf.

Irgendwie bin ich zum Schluss doch noch fast nach Lillehammer gekommen. Ich war dann aber Müde, staubig verschwitzt und durstig. Und hatte keine Lust, einen Zeltplatz azu suchen. Ich wollte eine warme Dusche und ein weiches Bett. Ein nettes, günstiges Hotel, das Honne Hotel in Biri am Mjøsa See, ein paar Kilometer südlich von Lillehammer, war mir lieber. Hier bekam ich alles, was ich mir erhoffte. Und ein ausgiebiges Frühstück obendrein. Das Zelt blieb wieder einmal eingepackt.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14811879949

TCR #41 Lillehammer,Friisvegen und Mitternachtssonne
Montag, 16. Juni.
Es ist Mitternacht und taghell. Ohne Schlafmaske kein Schlaf. Auch daran muss ich mich in den nächsten Tagen und Wochen gewöhnen. So wie daran, dass Ortschaften seltener werden und Orte mit Hotel eine Ausnahme sind. Campieren ist wieder angesagt. Sofern es das Wetter zulässt.
Gestern habe ich nach einer langen Fahrt ein Hotel einige Kilometer vor Lillehammer gefunden. Das sensationell gelegene Honne Hotel in Biri, mit einer traumhaften Aussicht auf den Mjøsa-See. Es war schon sehr spät, als ich ankam. Die Nacht war aber sehr angenehm Nacht und das Frühstück sensationell. Das beste während meiner bisher nun schon sechs Wochen dauernden Reise. Ich konnte mich richtig satt essen und Kraft für den Tag tanken. Die sollte ich auch brauchen, denn heute warteten über 2000 Höhenmeter und wieder ein weiter Weg auf mich.

Los ging es in Biri, wo sich von der Terrasse des Honne Hotels ein sensationeller Ausblick auf den Mjøsa-See eröffnete. Der Mjøsa ist der größte See Norwegens, mit 369 km² 19 Mal größer als der Wörthersee in Kärnten, und hat zahlreiche Zuflüsse. Dem größten davon, dem Gudbrandsdalslagen, würde ich weiter Richtung Norden folgen.

Lillehammer ist Wintersport- und Serienfans bestens bekannt. Schon von weitem sieht man die Skisprungschanzen und der Ort selbst enttäuscht nicht. Die Hauptstraße, eine nette Fußgängerzone mit typisch norwegischen Holzhäusern und Geschäften. Viele davon Sportgeschäfte. Natürlich auch etliche Lokale und Bars. Ich bin zwar in der Off-Season hierher gekommen, das Ambiente lässt aber vermuten, dass es hier auch während der Wintersaison gemütlicher zugeht als in vielen Alpen-Ressorts.




Ich habe nicht viel Zeit in Lillehammer verbracht, war kurz shoppen um Essen einzukaufen und in der Apotheke. Denn obwohl ich vom ersten Tag meiner Reise an meinen Sitz- und Intimbereich großzügig mit mit Ilon Protect Salbe eingecremt habe, hat sich im Bereich der linken Leiste in den letzten Tagen ein etwas schmerzhafter Knoten gebildet. Besorgt habe ich gestern Abend nachgelesen und herausgefunden, dass es sich vermutlich um einen „Biker’s Nodule“ handelt. Das ist zu meiner Beruhigung keine bösartige Sache, aber eine unangenehme, die von selbst wieder verschwindet, wenn man nur eine längere Ruhepause einlegt. Eine Pause kann ich aber im Moment nicht machen. Ich muss schauen, dass ich zügig weiter nach Norden komme. Mir bleiben noch ungefähr zwei Wochen Zeit, um zum Nordkap zu kommen, und der Weg dorthin ist noch ganz schön weit. In der Apotheke von Lillehammer habe ich zwei Salben zur Behandlung meiner Problemstelle bekommen. Ich versuche außerdem, den Druck auf die Stelle durch eine etwas andere Sitzposition zu reduzieren und habe dafür die Sattelposition leicht verändert. Ich hoffe, dass ich die Sache so in Griff bekomme.
Kurz nach Lillehammer traf ich Goudin, der aus Paris mit dem Rad Richtung Nordkap unterwegs ist. Es war nett, einen gleichgesinnten Bikepacker zu treffen. Ein Stück fuhren wir auch gemeinsam entlang der E6 nach Norden, doch dann wich meine Route wieder von der Schnellstraße ab auf kleinere Nebenstraßen mit einigen Anstiegen. Goudin fragte mich, ob ich über die Berge fahre. Er fuhr lieber an der E6 im Flachen weiter. Mir war dort aber zu viel Verkehr. Ich konnte es nicht ausstehen, im Tal an Radroute entlang der E6 zu fahren. Das war kein Vergnügen. also trennten sich unsere Wege wieder.

Ich bog nach links ab, in die Hügel entlang des Gudbrandsdalen. Meine Route war zwar anstrengender. Ich hatte sofort einige Höhenmeter extra zu machen, aber dafür gab es hier keinen Verkehr. Und ich hatte eine wunderbare Aussicht auf das Flusstal und die umgebende Hügellandschaft.

Beim Ort Fåvang, wo ich mich mit Essen und Trinken für den Tag eindeckte und Mittagspause machte, kam ich dann allerdings wieder zur E6. Und die rund fünf Kilometer, die ich anschließend bis Ringebu an der Schnellstraße fahren musste, zeigten mir, dass ich bei der Routenwahl für mich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es gab keinen Begleitweg für Radfahrer. Ich musste daher am Seitenstreifen der Straße fahren, der mitunter keinen halben Meter breit war. Viele schwere LKW und noch mehr Autos donnerten an mir vorbei. Vom Abstand halten beim Überholen hielt hier kaum jemand etwas. Es war Stress und wirklich kein Vergnügen, hier mit dem Rad unterwegs zu sein.
Dann kam ich nach Ringebu und freute mich, von der E6 wegzukommen. Doch die nächste Überraschung folgte sofort. Meine Navi zeigte an, dass hier ein 24 Kilometer langer Anstieg mit 1100 Höhenmetern beginnt. Kurz war ich schockiert. Wohl hatte ich am Morgen bei der Abfahrt im Honne Hotel noch gewusst, dass viele Höhenmeter vor mir lagen, inzwischen hatte ich das allerdings vergessen und meine Route nicht mehr so genau im Kopf. Nach der bisherigen Fahrt des Tages, immer dem Gudbrandsdalen entlang nach Norden, hatte ich nicht erwartet, jetzt auf einen solchen Berg zu stoßen.
Ich holte mein Handy heraus und suchte nach einer Alternative. Einen Weg nach Norden, auf dem ich den Anstieg vermeiden könnte Doch es gab keinen. Es sei denn, ich wäre weiter die E6 entlang gefahren. Was für mich keine Alternative war. Ich brauchte aber ein Gummibären-Doping, bevor ich mich der Aufgabe stellen konnte und gab vor der Bergwertung auch Katie noch ein wenig Kettenfett. Ich wusste, dass das jetzt eine mühselige und langwierige Geschichte wird und stellte mich auf rund vier Stunden Auffahrt ein, ähnlich schon zuvor am Tourmalet oder am Mont Ventoux.
Ich war am Friisvegen gelandet, der die Täler Gudbrandsdalen und Østerdalen verbindet und zum höchsten Punkt des Gudbrandsdalen auf 1150 Meter führt. Es war wieder einmal eine Prüfung, Katie bergauf zu bewegen. Doch das Erlebnis, die Eindrücke entschädigten mich für die Mühen, die ich dabei auf mich nahm. Je höher ich kam, desto beeindruckender wurden die Landschaft und der Ausblick.

Ich kam in eine weite, menschenleere Gebirgslandschaft. Am Weg gab es nur vereinzelt alleinstehende Hütten oder kleinere Ansammlungen davon. Im Winter ist hier ein weitläufiges Ski-Langlaufgebiet. Ich nahm mir die Zeit, das Ambiente zu genießen. Ich hätte ohnehin nur unwesentlich schneller fahren können Und wozu auch beeilen? Es würde sowieso wieder die ganze Nacht lang hell bleiben.

An der nicht gekennzeichneten Passhöhe angekommen machte ich Pause. Ich genoss die Stille, packte meine Drohne aus und erkundete damit ein wenig die Umgebung. Mir offenbarte sich eine weitläufige, karge Gebirgslandschaft. Ohne jegliches Lebenszeichen.
Der langen und eindrucksvollen Auffahrt folgte eine schöne und kurzweilige Abfahrt, wieder 24 Kilometer und 1000 Höhenmeter bergab ins Østerdalen. Purer Genuss.
Im Tal, im Ort Atna angekommen prüfte ich die Lage bezüglich Übernachtungsmöglichkeiten. Wie in dieser menschenleeren Ecke kaum anders zu erwarten war, gab kein einziges Angebot in der weiteren Umgebung. Zumindest keines, das ich mit dem Fahrrad noch ansteuern hätte können. Allerdings gab es einen Campingplatz bei Atna. Als ich dort ankam, war es wieder einmal sehr spät, ca. 22:30. Am Platz war alles ruhig. Nur eine Handvoll Wohnmobile waren geparkt, niemand interessierte sich für mich. Ich baute mein Zelt auf und freute mich, dass ich duschen konnte. Eine warme Dusche kann etwas so Herrliches sein. Dann verkroch ich mich in mein Zelt, setzte die Schlafmaske auf, drückte mir die Ohropax rein, und schlief ein.
Route und Daten des Tages:
Teil 1: strava.com/activities/14817101761
Teil 2: strava.com/activities/14821269073


TCR #42 Vangrøfta, Forollhogna nasjonalpark
Dienstag, 17. Juni. Ich hatte weder besonders gut noch besonders lang geschlafen. Mit der Schlafmaske hatte ich zwar die andauernde Helligkeit ausblenden können, die Temperatur war aber in der Nacht auf rund fünf Grad gesunken. Ich hatte zwar meine Daunenjacke zum Schlafen angezogen, es war aber dennoch frisch. Ich wachte außerdem einige Male auf. Meine aufblasbare Schlafunterlage hat offenbar irgendwo ein kleines Loch. Sie verliert Luft, was den ohnehin bescheidenen Schlafkomfort weiter drückt. Ich musste in der Nacht einige Male Luft nachblasen, weil es hart und vom Boden her kalt wurde.
Als ich dann gegen 8 Uhr wieder aufwachte, hörte ich obendrein, wie der Regen auf mein Zelt fiel. Wenn es nicht so unbequem gewesen wäre, hätte ich mich lieber nochmals umgedreht und weitergeschlafen. So lange, bis der Regen wieder aufhört.

So lange liegenzubleiben bis der Regen endlich aufhört war keine Option. Also kochte ich Kaffee und Porridgee. Ich beneidete die anderen Camper, die es in ihren Wohnmobilen bequem hatten. Sie konnten in ihrer warmen fahrenden Stube frühstücken und mussten dabei nicht im Regen am Boden sitzen. Anschließend gönnte ich mir nochmals eine warme Dusche, schlüpfte in meine Regenmontur und machte mich auf den Weg. Das Loch in meiner Schlafunterlage habe ich leider nicht gefunden. Ich hoffe, dass ich sie in den nächsten Tagen einmal gründlich untersuchen und das Loch flicken kann.
Die ersten 54 Kilometer des Tages führte mich meine Route im Østerdalen entlang der Schnellstraße E3. Die E3 ist zwar wesentlich weniger befahren als die E6, dort mit dem Rad zu fahren ist aber auch kein Vergnügen, und erst recht nicht im Regen. Wenn der Seitenstreifen wieder einmal keinen halben Meter breit ist und LKW, Wohnmobile und Autos vorbeidonnern als wäre man nicht vorhanden und zum Regen von oben noch die Gischt von der Straße kommt, dann wird die Sache richtig unlustig.
Ich beschloss, beim nächsten Trucker-Stopp, der auf dieser Straße einmal kommen musste, Halt zu machen. Einen Kaffee zu trinken und etwas zu essen. Und bei jedem darauf folgenden wieder, zumindest so lange der Regen anhielt.

Ich musste gar nicht lange warten. Nach einer knappen Stunde kam ich zum Trucker-Stopp Hanestad. Dort aß ich eine Lasagne und trank vier Tassen Kaffee. Danach sah die Welt schon ganz anders aus.

Auch der Regen hatte ein Einsehen. Nach meiner Pause klarte es auf, und nachdem auch die Straße aufgetrocknet war, konnte ich mein Regengewand wieder ausziehen. Es war zwar immer noch nicht lustig, an der E3, auch landschaftlich nicht, aber von da an zumindest erträglich. Zumal der Verkehr wirklich in äußerst bescheidenen Grenzen blieb.

Schließlich hatte ich den Abschnitt auf der ungemütlichen E3 hinter mir, und sofort wurde auch die Landschaft wieder attraktiver. Ich kam nach Tynset, wo ein Café geöffnet hatte. Eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen konnte. Ich gönnte ich mir einen Kaffee und ein großes Stück Oreo-Kuchen.

Der Koffein- und Zucker-Boost war gerade richtig und kam auch zur richtigen Zeit. Er belebte mich und als ich weiterfuhr, hatte ich wieder Spaß am Fahren. Auch wieder das wechselhafte Wetter störte mich nicht sonderlich. Zwischendurch musste ich aufgrund einer überraschenden Straßensperre wieder einmal einen Extra-Weg nehmen, aber der war nicht dramatisch. Und ich traf wieder einen Bikepacker, der aus Frankreich Richtung Nordkap unterwegs war. Ein kurzes Stück fuhren wir gemeinsam. Ich freute mich darüber, jemand zum Tratschen zu haben.

Ich beschloss, so lange weiterzufahren, bis ich müde wäre und einen guten Platz zum Schlafen fände. Auf das Internet oder Booking.com konnte ich nicht zählen. Entlang meiner Route gab es kein Angebot, das ich am Rad mit halbwegs vertretbarem Aufwand erreichen hätte können.
Die Müdigkeit und der Hunger kamen bald. Kurz nach dem kleinen Ort Dalsbygda führte mich mein Weg auf einer nicht mehr asphaltierten Straße in den Forollhogna Nationalpark am Fluss Vangrøfta.

Wie gerufen fand ich dort nach einem Stück des Weges einen großen, menschenleeren Picknickplatz mit einer kleinen, einfachen Schutzhütte. Ich hatte meinen Schlafplatz gefunden. Ich konnte mein Zelt geschützt vor dem Wind und dem Regen in der Hütte aufbauen und wärmte mir eine Packung Labskaus auf.

In der Hütte fand ich auch etwas Feuerholz, mit dem ich ein wärmendes Lagerfeuer anzünden konnte. Es war sehr, sehr still. Nur das Rauschen des Flusses war zu hören, bis sich ein immer lauteres Gebimmel darunter mischte und ich Besuch von einer Herde Schafe bekam. Wandelnde Norwegerpullis. Den Tieren war offensichtlich nicht kalt.


Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14836987786

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Eine Antwort zu “TCR – Blog | Woche 6”
Wer braucht schon Bücher oder Zeitungen, wenn er deinen Blog lesen kann 👌👏 grandiose Reise, die mal durch deine Bilder und Schilderungen wunderbar miterleben kann!
Viel Spaß noch! Beste Grüße, Florian