Die Dritte Woche des TCR. Von Nordspanien an die französische Mittelmeerküste. Dazwischen der Tourmalet!
TCR #15 Alberto, San Sebastian und Frankreich
Mittwoch, 21. Mai. Was macht man am besten, wenn die Endorphine einen irren Glückstanz veranstalten? Das Gefühl und die Stimmung genießen. Erst recht, wenn man gerade an einem wunderschönen Flecken Erde ist.
Es war erst 6:00, als ich in meinem kleinen 1-Mann-Zelt vom Zwitschern der Vögel geweckt wurde. Noch etwas verschlafen kroch ich aus meiner Schlafstätte und sah, wie die Sonne langsam über dem Golf von Biskaya aufging. Am ohnehin verträumten Campingplatz Itxaspe war noch alles ruhig. Ich nahm mein Kochgeschirr, ging damit zu einem der bereitstehenden Picknicktische mit Blick auf das Meer, kochte Kaffee und Porridge und genossen die Magie des beginnenden Tages.
Es dauerte eine Weile, bis ringsum mich weitere Menschen aus ihren Zelten und Mobile Homes kamen. Alle schienen zufrieden und glücklich, mit sich im Reinen zu sein.
Dann war es Zeit, meinen Frühstücksplatz wieder zu räumen, das Zelt abzubauen und an die Weiterreise zu denken. Ich ließ mir viel Zeit dabei. Hatte keine Eile, wegzukommen. Und freute mich, als mich Martin und Alexandra, das Schweizer Paar, das sich neben mir mit einem Motorhome eingerichtet hatte, noch zu einem weiteren Kaffee einluden.
Nach einer sehr netten Unterhaltung war es aber endgültig Zeit, wieder loszufahren. Im Campingplatz-Shop kaufte ich noch eine Packung Kekse und eine Dose Orangenlimonade, und dann steuerte ich KATIE wieder Richtung Norden, die Küste entlang.

Der Küstenstreifen ist schon sehr speziell. Während – bei einer Fahrt nach Norden – rechterhand Wiesen und Hügel an zuhause und das Gebiet rund um Scheibbs erinnern, bricht die Landschaft linkerhand zum Meer ab, ähnlich, wie man es von der ligurischen Küste kennt. An Buchten mit Badestränden liegen kleinere, charmante Städtchen. Ich mache noch einige Male Halt, um die Aussicht zu genießen.

Meine Navi zeigt mir, dass kurz nach dem kleinen Ort Orio ein steiler Anstieg folgt. Und weil es bereits nach Mittag ist – und die morgens gekauften Kekse mein einziges verbliebenes Essen sind, suche ich ein Lebensmittelgeschäft. Doch noch ehe ich eines gefunden habe, habe ich den Ort auch schon wieder durchfahren.
Gerade als ich überlege umzukehren, fährt ein älterer Rennradfahrer an mir vorbei und signalisiert mir, ihm zu folgen. Es ist Alberto, der in Orio zuhause ist und wissen möchte, woher ich komme und wohin ich fahre.

Von meinem Vorhaben, von Tarifa ans Nordkap zu fahren, begeistert, lädt er mich spontan auf einen Mittags-Snack und eine Cola ein. Alberto ist 77 Jahre alt und fährt jedes Jahr 20.000 Kilometer mit dem Rad. Er zeigt mir Fotos von seinen letzten Touren, ich ihm von meiner bisherigen Reise.
Als ich ihm meine weitere Route nach San Sebastian zeige, beschließt er, mich ein Stück dorthin zu begleiten. Er holt sein Mountainbike aus der Garage und gleich geht es rein in den Anstieg auf den Igueldo. Albertos Hausberg, den, wie er stolz berichtet, erst eine Woche zuvor die World-Tour-Profi-Damen im Rahmen der Vuelta gefahren sind. Und der auch fixer Bestandteil des Profi-Radrennens Classica San Sebastian ist.

Nach fünf Kilometern und 300 Höhenmetern sind wir oben angelangt. Alberto macht noch ein Erinnerungsfoto von Katie und mir, wir tauschen Kontaktdaten aus, und dann geht die Reise wieder für mich alleine weiter.
Zunächst fein bergab nach Donostia-San Sebastian, wo ich direkt in der wunderschönen Bucht der Stadt ankomme.

Der Himmel ist zwar mittlerweile wolkenverhangen, doch Der Ausblick auf die Stadt ist dennoch umwerfend. Leider sind die geöffneten Sportgeschäfte der Stadt nicht so gut sortiert wie erhofft, weshalb ich nach anderen entlang meines Weges suche. Die besten Optionen scheint es in Biarritz zu geben. Daher beschließe ich, noch dorthin zu fahren. Nach Frankreich.
Die Grenze nach Frankreich zu überqueren war dann kein so erhebender Moment wie die Ankunft an der spanischen Nordküste. Durch den Grenzort Behobia, der an der französischen Seite Behoble heißt, fließt der Fluss Bidasoa. Die Mitte der Brücke ist die Grenze. Hier standen etwas gelangweilt zwei Polizisten, denen ich völlig gleichgültig war. Auf der anderen Seite des Flusses ein Schild mit der Aufschrift „Département des Pyrénées-Atlantiques“, das war es schon.

Dennoch war es ein Anlass für einen kleinen Jubel. Frankreich! Der Vuelta-Teil meiner Reise lag hinter mir. Jetzt ging es an die Tour-de-France-Etappen. Zunächst einmal ein kleines Stück die Atlantikküste entlang nach Biarritz und dann weiter ins Landesinnere, in die Pyrenäen.

Wieder einmal spät am Abend erreichte ich Biarritz. Wenige Kilometer vor der Stadt suchte ich via Booking.com ein günstiges Zimmer im Zentrum. Doch das Hotel war eine Enttäuschung. Die Betreiber meinten, dass es keinen Platz gäbe, um mein Rad einzustellen. Und sie erlaubten es mir auch nicht, Katie mit aufs Zimmer zu nehmen. Ich sollte sie an der Straße, am öffentlich zugänglichen Radabstellplatz parken. Was für mich schlichtweg unmöglich war. Katie eine ganze Nacht lang unbewacht an der Straße stehen lassen? Womöglich auch noch mit dem ganzen Gepäck? Nach einigen Diskussionen und Erklärungen, dass dies für mich inakzeptabel wäre, stornierten die Besitzer meine Buchung.
Ich zog ein paar Häuser weiter, checkte in ein anderes Hotel ein und machte mich frisch für das Abendessen. Eigentlich wollte ich Pizza. Eine richtig große, mit viel Käse drauf. So viel Käse, dass der Belag richtig trieft. Himmlisch. Als ich aber endlich in eine Pizzeria kam, war dort bereits der Ofen aus. „Sorry. We are closing.“ Ich war wieder einmal zu spät dran, fand aber dann doch noch ein Restaurant, in dem die Küche noch geöffnet war. Hier gab es zwar keine Pizza, aber gutes Essen. Ein schöner Abschluss für den Tag. Jetzt muss nur noch morgen der Rad-Shop in Biarritz geöffnet sein.
Route und Daten zum Tag: strava.com/activities/14552682142

TCR #16 Pau, das Tor zu den Pyrenäen
Donnerstag, 22. Mai. Heute hat einmal fast alles so geklappt, wie ich mir das vorgestellt hatte. Doch nur fast. Denn es gab wieder Unvorhergesehenes, das mich auf die Probe stellte. Mittlerweile kann ich im Grunde nur noch darüber lachen. Das gehört eben zu den Herausforderungen, die ich bewältigen muss, wenn ich mich auf ein derartiges Solo-Abenteuer einlasse.
Ich dachte vor Beginn meiner Reise, dass das Wetter die größte unberechenbare Variable ist. Doch weit gefehlt. Wie das Wetter wird, kann ich mithilfe verschiedener Apps eigentlich ganz gut vorhersehen und mich darauf einstellen. Es sind die zahlreichen unerwartenden und daher auch unplanbaren Probleme und Schwierigkeiten, die mich herausforden.

Plan #1 in meiner Tagesliste hat jedenfalls noch sehr gut funktioniert. Der war, beim Frühstücksbuffett im Hotel ordentlich zuzuschlagen. Ich denke, dass ich dieses Planziel sogar übererreicht habe. Unterstützt wurde ich dabei dadurch, dass genau während ich frühstückte ein Regenschauer über Biarritz niederging. Und da ist die beste Option schlichtweg, noch einen Kaffee zu trinken und einige weitere Kohlehydrate und Proteine nachzulegen.

Plan #2 klappte ebenfalls perfekt. In einem Surfer-Shop fand ich Ersatz für meine verloren gegangenen, leichten und wassertauglichen Off-Bike-Schuhe.
Plan #3 sowieso. Ich hatte den kleinen, aber feinen Fahrradladen „Popular Cycling“ in Bayonne ausfindig gemacht und erhielt dort promptes Service. Flugs waren auch schon zwei neue Reifen an Katie montiert.

Nach einem weiteren Mittagssnack konnte ich meine Fahrt schließlich fortsetzen. Plan #4, heute noch nach Pau zu fahren, wurde damit eingeleitet. Mein Weg führte mich flussaufwärts am Fluss Adour entlang, der in den Pyrenäen entspringt

Viele Kilometer lang radelte ich durch das fruchtbare, grüne Tal und freute mich, dass weitere Regenschauer ausblieben. Weizenfelder, Apfel- und Kiwiplantagen und Gemüseanbau prägen das Land. Dazwischen schlichte Straßenörfer mit einfachen Häusern. Selten ein größerer Ort.

Alles lief wie am Schnürchen. Auch der Westwind half mit, ich kam gut voran und zählte anhand der Straßenbeschilderung die Kilometer herunter.
Doch dann, ungefähr 5 Kilometer vor dem Ziel, bemerkte ich, dass meinem Hinterreifen langsam die Luft ausging. Da ich schon so nahe an Pau war, wollte ich das Problem kurzerhand beheben, indem ich einfach etwas Luft nachpumpe. Was Folgen hatte. Die Pumpe funktionierte nicht mehr. Schuld daran war, dass der Schlauch, der in Sevilla an meinem Vorderrad montiert worden war, zum besseren Pannenschutz etwas Dichtmilch enthielt. Als ich letztens Luft nachgepumpt habe, muss davon etwas in die Pumpe gezogen worden sein, was sie innerlich verklebt hatte. Die Pumpe war damit ein Fall für den Müll.
Damit war das Pech aber noch nicht vorbei. Als ich die Pumpe wieder vom Reifen abschraubte, löste sich damit auch der Ventileinsatz aus dem Schlauch, und mit einem lauten Zischen entwich auch der Rest der Luft, der noch im Reifen war, komplett. Ich war entsetzt. Da stand ich nun, an einer Bushaltestelle an der Route de Laroin, noch rund 15 Kilometer von Pau entfernt. Und mein Hinterrad war komplett platt. Ich hatte zwar noch Ersatzschläuche und Pickzeug, aber keine Pumpe und auch keine CO2-Patrone mehr, um Luft in den Reifen zu bekommen. Es war wirklich verflixt.
Ich brauchte ein paar Momente, bis ich mich von dem Schreck erholt hatte. Dann bemerkte ich, dass hinter der Bushaltestelle eine kleine Siedlung mit ein paar Häusern war. Ich schob Katie dorthin und klingelte an einigen Türen. Beim dritten Haus hatte ich Glück. Mithilfe des Google Übersetzers erklärte ich, dass ich eine Luftpumpe brauche, um meinen Reifen aufpumpen und weiter nach Pau fahren zu können. Bereitwillig wurde ich in die Garage gelassen, wo sich der Hausherr des Reifens Rades annahm.
Er fragt, wohin ich fahre. Als ich erkläre, dass ich nach Norwegen, ans Nordkap, will, will er das nicht wirklich glauben. „Wie Tadej Pogacar?“, fragt seine Frau. Ich muss lachen. Nein, nicht wirklich. Da gibt es doch einen großen Unterschied. Wenn ich wie Pogacar wäre, dann würde ich nicht zehn, sondern höchstens fünf Wochen für meine Reise brauchen.
Schließlich kann ich meine Fahrt fortsetzen. Glücklich darüber verabschiede ich mich und rolle weiter Richtung Pau, das ich sogar noch erreiche, bevor es finster ist.

Später, im Hotel, während ich diesen Blog-Eintrag schreibe, bemerke ich, dass der Reifen schon wieder platt ist. Es hilft also nichts. Ich muss morgen schon wieder in einen Bike-Store. Und werde Katie wohl dorthin schieben müssen. Ich brauche dringend eine neue Pumpe.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14563938002

TCR #17 Startklar für den Tourmalet
Freitag, 23. Mai. Heute war mir von Anfang an klar, dass ein Bummel-Tag ansteht. Alles Andere wäre sinnlose Energieverschwendung gewesen.

Von Pau, wo ich übernachtet hatte, sind es nämlich bloß rund 85 Kilometer nach Luz-Saint-Sauveur, dem Ort, in dem der Anstieg auf den Col du Tourmalet beginnt. Von dort weg windet sich die Straße über 19 km und 1400 Höhenmeter bis zum Passübergang auf 2115 Meter.
Im Winter hatte ich dafür, zuhause, im Keller am Smart Trainer, ziemlich genau eineinhalb Stunden gebraucht. Mit KATIE und dem ganzen Gepäck würde das vermutlich doppelt so lange dauern. Inklusive Abfahrt müsste ich für die Befahrung des Berges daher etwa vier Stunden kalkulieren. Jedenfalls zu viel, um vor dem prognostizierten Regen (ab Nachmittag am Berg; am Abend dann auch im Tal) damit fertig zu sein.
Zumal ich davor auch noch zur „Velo Station“ in Pau musste, um eine neue Luftpumpe zu kaufen. Ich hatte wieder Glück, denn in dem Hotel in Pau waren gleichzeitig vier weitere Bikepacker zu Gast. Eine Gruppe junger Spanier, die ein paar Tage in den Pyrenäen unterwegs gewesen waren. Wir kamen ins Gespräch, und auch sie waren beeindruckt, von meinem Vorhaben meinem Setup.
Jedenfalls konnte ich mir eine Pumpe ausleihen und meinen Reifen so weit aufpumpen, dass ich die zwei Kilometer zur „Velo Station„fahren konnte und nicht schieben musste. HERZLICHEN DANK nochmals, an Javier Luengo und die anderen Jungs!
Kurz drauf war ich auch schon wieder bestens ausgerüstet und konnte meine Fahrt gemütlich fortsetzen. Ich hatte laut Wetterbericht sieben Stunden Zeit, um nach Luz-Saint-Sauveur zu kommen. Und die nahm ich mir auch.

Ich war noch nichteinmal richtig aus Pau rausgefahren, da lud ein bezaubernder Platz an der Grave du Pau zu einer ersten Rast ein.

Am Weg kaufte ich mir in einer Boulangerie ein frisches Baguette und Kekse als Wegzehrung. Ansonsten passierte lange nichts richtig Aufregendes. Ich rollte durch die Landschaft auf die hohen Berge zu, die langsam näher kamen.

Ich kam durch extrem verschlafene Dörfer. Als einzelner Radfahrer war ich dort eine richtige Attraktion. Ich musste nur anhalten und mein Langarmtrikot ausziehen, da öffnete sich auch schon eine Tür und ich wurde gefragt, ob ich ein Problem habe. Nein, danke. Alles gut.
Anders am Wallfahrtsort Lourdes, wo an der Marienkirche gerade eine Open-Air-Messe für eine riesige Menge Pilger zelebriert wurde. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, zur Grotte zu fahren und mir den Marien-Segen zu holen. Das Szenario war mir dann aber doch zu schräg. Im Ort wimmelte es vor Nonnen, Mönchen und anderen Pilgern, dazwischen religiöse Devotionalien-Geschäfte, Hotels und und Straßenrestaurants, die im Grunde alles etwas schäbig aussahen.

Ich fuhr also weiter den Fluss entlang- Die Berge um mich wurden immer höher. Die Grave immer wilder. Rafting, Kanufahrten und andere Flussabenteuer werden hier angeboten. Die Straße wand sich durch das Flusstal bergan. Ein Wohnmobil mit einem spanischen Kennzeichen überholt mich und hält an. Der Fahrer springt mit einer Luftpumpe in der Hand heraus und winkt mir zu. Ich soll anhalten. Er hat bemerkt, dass ich schon wieder etwas wenig Luft im Hinterreifen habe und pumpt einige Bar in meinen Reifen. Was die Weiterfahrt tatsächlich erleichtert.

Schließlich komme ich in Luz-Saint-Sauveur an. Eigentlich hatte ich vor, hier an einem der zahlreichen Campingplätze zu übernachten. Doch das Wetter macht mir wieder einmal einen Strich durch die Rechnung. Der Himmel ist schwer von schwarzen Wolken verhangen. Und ich bin kaum im Ort angekommen, da setzt auch schon der prognostizierte Regen ein. Dicke, schwere Tropfen fallen. Schnell checke ich im Hotel Tourmalet ein. Das hat zwar auch schon bessere Zeiten gesehen, als Radfahrer ist man dort aber bestens aufgehoben. Der Besitzer hat eine tolle Bike-Garage mit einzelnen Boxen für die Zimmer eingerichtet. Es liegt jegliches Werkzeug bereit, um Pannen aller Art beheben zu können. Auch das Essen schmeckt und der Wirt versichert mir, dass morgen ein sehr guter Tag sein wird, um auf den Tourmalet zu fahren. Besonders, wenn ich wie geplant schon am frühen Vormittag starte. Es
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14571851545

TCR #18 Col de Tourmalet + Col d‘ Aspin
Samstag, 24.Mai. Was für ein genialer Tag in den Bergen! Als um 7 Uhr mein Wecker klingelte, konnte ich es selbst kaum glauben. Aber der Hotelbesitzer hatte recht behalten. Die Regenwolken, die gestern Abend über Luz Saint Sauveur hereingezogen waren, hatten sich tatsächlich wieder komplett verzogen. Über den Bergen war kein Wölkchen mehr zu sehen.
Nach dem Frühstück, bei dem mich der Besitzer noch vor dem schlechten Asphalt bei der Abfahrt nach Osten warnt, mache ich noch einen schnellen Bike-Check in der Service-Garage. Dann geht es auch gleich an die Auffahrt zum Tourmalet. Ich wollte oben sein, bevor sich die an einem so herrlichen Wochenend-Tag erwartbare Motorrad- und Mobile-Home-Karawane in Bewegung setzt.

Vor Beginn meiner Reise hatte ich noch damit geliebäugelt, im Zuge meiner Tour den kompletten Pyrenäen-Bogen abzufahren und auch die Route entsprechend geplant. Mittlerweile ist mir jedoch klar, dass das mit der schwer beladenen Katie eine gröbere Angelegenheit wäre und dadurch mein Zeitbudget deutlich überzogen würde. Um das große Ziel, das Nordkap, nicht zu gefährden, habe ich diesen Plan daher verworfen. Eine Pyrenäen-Durchquerung ist ein eigenes Projekt, das ich hoffentlich in ein, zwei Jahren angehen kann. Den Tourmalet wollte ich mir aber auf keinen Fall entgehen lassen.

Der Tourmalet ist – wie der benachbarte Vol d‘ Aspin, den ich im Anschluss befahren sollte – ein Stück Tour de France Geschichte. 1910 wurde er zum ersten Mal im Rahmen der Frankreich-Rundfahrt befahren. Die Legende will es, dass der von den Veranstaltern ausgesandte Kundschafter beinahe selbst im Tiefschnee umgekommen wäre, ehe er nach Paris telegrafierte, dass der Pass befahrbar sei.
Zahlreiche weitere Heldengschichten ranken sich um den Berg. Angefangen von jener aus dem Jahr 1913, als dem bei der Tour in Führung liegenden Eugene Christophe die Gabel (die Aufhängung des Vorderrades) brach.
Das damals geltende und aus heutiger Sicht komplett absurde Reglement schrieb es vor, dass die Teilnehmer während der Tour ihre Räder nicht wechseln durften. Und im Falle eines Defekts mussten sie diesen selbst und ohne Hilfe beheben. Also schob Christophe sein Rad ins Tal nach St. Marie de Campan, wo er eine Schmiede fand, in der er seine Gabel reparieren konnte. In dem Ort erinnert heute ein Denkmal daran.

Die letzte denkwürdige sportliche Schlacht am Tourmalet fand im August 2024 statt, als die Niederländerin Demi Vollering zwar den Tagessieg der Schlussetappe der Tour de France Femmes holen konte, die Tour aber dennoch um vier Sekunden an die Polin Katarzyna Niewiadoma verlor.

Abgesehen davon ist eine Tourmalet-Befahrung an einem Traumtag wie heute ein sensationelles Erlebnis.
Erst recht, wenn man bei der Auffahrt den Weg über die Voie Laurent Fignon nimmt, die ein Teil der alten Straße auf den Berg ist, der heute als ein Wirtschaftsweg genutzt wird, den nur Radfahrer und Wanderer benutzen dürfen. Autos und Motorräder sind dort verboten.

Etwas oberhalb des Ski-Ortes Super-Bareges kommen die alte und die neue Straße wieder zusammen. Von hier weg sind es nur noch ein paar Kilometer bis zum Passübergang. Die Straße zieht nochmals an, wird aber nie so steil, dass sie für mich und Katie unfahrbar wäre. Auf der Straße kann ich zum Ansporn die Namen von Sport-Größen lesen. „POGI“, VINGEGAARD“. „REMCO“ oder „ROGLA“ steht dort geschrieben. Und „NORWAY“ – gerade so als ob mich jemand anfeuern wolle. Natürlich weiß ich, dass damit das norwegische Profi-Team Uno-X gemeint ist. Aber Ich muss trotzdem lachen. Ja. Norwegen. Ich komme. Bald.

Schließlich bin ich oben, am Passübergang, an dem sich zu der Zeit hauptsächlich Rennradfahrer befinden. Und natürlich errege ich mit KATIE auch hier wieder Aufmerksamkeit. Als ich erzähle was ich vorhabe, will sich eine Radler- Gruppe auch gleich mit mir fotografieren. Ich muss erklären, was ich alles dabei habe, wie schwer mein Rad ist, wie viele Kilometer und Höhenmeter ich fahre und wie viel Zeit ich habe. Mit Glückwünschen für meine weitere Reise beladen mache ich dann selbst auch meine obligatorischen Pass-Fotos, um das Erlebnis festzuhalten.


Der Rest des Tages ist dagegen vergleichsweise unspektakulär. Bei der Abfahrt ist es ziemlich kalt, und ich muss etliche Schichten übereinander anziehen. Leider bemerke ich dabei auch einen Verlust. Meine langen Neopren-Handschuhe sind nicht in der Rahmentasche bei den Regensachen. Ich hoffe zwar, dass ich die nur irgendwo anders eingepackt habe, weiß aber eigentlich sofort, dass ich sie verloren haben muss, was sich am Abend beim Durchsuchen meines Gepäcks auch bestätigt. Schade, die waren gut und warm. Bei Wind und Regen. Ich werde Ersatz finden müssen.
Die Abfahrt endet in Sainte-Marie de Campan. Hier mache ich am Eugene Christophe Denkmal kurz Halt. Ein Snack, das warme Gewand ausziehen und ein Blick zurück zum Gipfel des Tourmalet. Ich hätte gute Lust, gleich nochmals hochzufahren. Andererseits ist es auch gut so. Ich habe noch einen sehr weiten Weg vor mir. Und das nächstgelegene Ziel ist der Aspin.
Am Weg dorthin mache ich an einem kleinen Imbissstand an der Straße Halt. Ich esse ein Schinken-Käse-Baguette, trinke ein Cola und muss dem erstaunten Besitzer wieder einmal meinen weiteren Weg schildern.
Der Aspin selbst ist dann vom Tourmalet kommend eigentlich nur eine etwas lästige Hürde am Weg. Ein Schupfer, kaum der Rede wert. Aber dennoch eine Tour-Legende. Ein weiteres Häkchen in meiner Liste.

Er bietet aber eine schöne Abfahrt über zahlreiche Serpentinen hinunter ins Neste-Tal. Wären da nicht hunderte von Motorradfahrern, die mir entgegenkommen und in Kurven oft gefährlich in meine Fahrbahnseite schneiden. Eine „Rider 1000“ Challenge bringt sie dazu, so riskant zu fahren. Drive save, boys!
Unten im Tal suche ich mir einen Platz am Fluss und mache Rast, koche Kaffee, genieße das Bergpanorama und beobachte die Fliegenfischer an der Neste. Und dann noch Kilometer fressen bis es Zeit wird, ein Quartier für die Nacht zu suchen. Ich fahre noch weiter bis Saint-Gaudens, wo ich wieder ein einfaches Zimmer für die Nacht habe. Es ist wunderbar in den Pyrenäen. Ich komme gerne wieder. Jetzt liegt mein eigentliches Ziel aber dennoch ein paar Tausend Kilometer weiter im Norden.
Route und Daten zum Tag: strava.com/activities/14583119159

TCR #19 am Weg zum Mittelmeer
Sonntag, 25. Mai. Müdigkeit, Durst und Hunger. Das sind die drei Dinge, die mir von der heutigen Fahrt am meisten in Erinnerung sind. Meine Motivation ist nach dem großartigen Tag am Tourmalet auch tief im Keller. Wenn ich in mein Roadbook schaue, dann sehe ich vor mir nur eine weite Strecke, die ich hinter mich bringen muss. Es wird Zeit für einen Ruhetag.
Den Ruhetag habe ich jetzt für Dienstag, an der französischen Mittelmeerküste angedacht. Die Strecke bis dahin habe ich mir in zwei halbwegs gleich große Abschnitte aufgeteilt. Denn um das in einem Rutsch zu fahren, wäre es mir zu weit. Also jedenfalls im Rahmen dieser Reise, mit dem ganzen Gepäck am Rad.

Sobald ich am Rad saß und den Fahrtwind spürte, hatte ich allerdings andere Gedanken. Besondere Lust kam heute dennoch nicht auf. Die längste Zeit bewegte ich mich im welligen Pyrenäen-Vorland, und wenn ich nach rechts sah, dann kamen die Berge in mein Blickfeld. Einige Male musste ich mich regelrecht beherrschen. Sonst hätte ich den Lenker dorthin gedreht und wäre direkt wieder in das Gebirge gefahren.

Das war bevor mir das Wasser ausgegangen war. Danach war ich praktisch nur noch am Suchen. Den letzten kleinen Rest an Trinkwasser wollte ich nicht anrühren, einen Schluck als Reserve behalten. Es hätte schließlich noch schlimmer werden können.
Ich passierte etliche kleine Ortschaften, einfache Dörfer, ohne jegliche Infrastruktur. Wenn es eine Bar gab, dann war die geschlossen. Wenn es eine Tankstelle gab, dann bestand sie nur aus Selbstbedienungs-Zapfsäulen. Wenn es wenigstens einen Getränke- oder Snack-Automat gegeben hätte.
Mein Lebensmittel-Vorrat war auf ein Minimum geschrumpft. Ich hatte nur noch eine Hand voll Datteln, einige getrocknete Marillen und Haferflocken. Perfekt, um daraus einen nahrhaften Porridge zu kochen. Wenn ich nur Wasser gehabt hätte. Quellen oder Brunnen, aus denen ich mich bedienen hätte können, gab es entlang meiner Route ebenfalls nicht. Das Garmin-Thermometer zeigte 30 Grad an.

Auch in Frankreich gibt es zahlreiche aufgelassene Bahnstrecken, die nur mit einem Fahrrad befahren werden dürfen. Meine Route führte lange an einer solchen entlang. Schön, aber mittlerweile weiß ich, dass es an Frankreichs Radrouten sehr schlecht um das gastronomische Angebot bestellt ist.
Also bog ich davon ab, Richtung Hauptstraße. Und tatsächlich kam ich bald darauf zu einer auch am Sonntag geöffneten Backstube, in der ich eine Pizza, ein Cola und Wasser kaufen konnte. Die Pizza war zwar unterirdisch schlecht, aber was macht das schon? Ich würde heute weder verdursten noch verhungern.
Dafür überkam mich darauf die Müdigkeit. Ebenfalls typisch. Wenn der Körper nach dem Essen die ganze noch übrige Energie aufwendet, um die Pizza zu verarbeiten. Inzwischen war ich wieder zurück an einer Voie verte, an der grünen Route von Saint-Girons nach Foix. Hier gab es zumindest einmal einen Trinkbrunnen, an dem ich meine Flaschen mit frischem, kalten Wasser auffüllen konnte. Und einen schattigen Platz, an dem ich rasten konnte.
Im Grunde wollte ich gar nicht mehr weiter. Eine halbe Stunde lang lag ich im Gras, döste vor mich hin und überlegte, mein Zelt gleich hier im Nirgendwo aufzuschlagen. Doch dafür war es noch zu früh. Und ich hatte keine Lust auf Zelten, obendrein nichts mehr zu essen. Nach der Pause hatte ich wieder genug Energie, um meine Fahrt fortsetzen zu können. Und ich rang mich dazu durch, noch weitere zwei Stunden, rund 40 Kilometer weiterzufahren. Nach Mirepoix, wo ich noch schnell ein Zimmer buchte.

Meine Stimmung stieg sprungartig an, als ich in den Ort kam. Mirepoix war eine bezaubernde Überraschung. Im autofreien Zentrum, hinter den Stadtmauern, ein Fachwerkstädtchen wie aus dem Bilderbuch. Und lebendig. Mein Zimmer war in einem dieser Fachwerkshäuser, direkt über einem gut besuchten Restaurant. Das Essen sah verlockend gut aus. Also habe ich mir diese Belohnung gegönnt und das Menü des Tages (Ente) bestellt.
Morgen geht es weiter Richtung Mittelmeer. Vielleicht noch 130, 140 Kilometer. Und dort gibt es dann einmal richtig Ruhe.
Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14593677894

TCR #20 Ruhetag in Mirepoix
Montag, 26. Mai. Eigentlich wollte ich heute noch zur Mittelmeerküste weiterfahren und dann dort einen Ruhetag einlegen. Es sind noch rund 140 km bis zur Küste. Und am Weg gibt es keine großen Hindernisse. Es hätte ein lockerer Tag am Rad werden sollen.
Ich habe mir jedoch mit dem gestrigen Abendessen jedoch den Magen gründlich verdorben. Details spare ich hier aus. Vielleicht war das Essen auch gar nicht verdorben, sondern nur mein Magen nicht mehr daran gewöhnt. Jedenfalls war die Nacht ein Horror, und am Morgen war an das Weiterfahren nicht zu denken. Ich hatte noch versucht, mich reisefertig zu machen, musste dann aber einsehen, dass das ein sinnloses Unterfangen ist. Ich war zu schwach, mein Kreislauf spielte nicht mit.

Von meinem Zimmer aus sehe ich auf den Hauptplatz, wo Markttag ist. Ich schaffe es aber nicht, nach unten zu gehen und kippe wieder ins Bett zurück. Als ich wieder aufwache, ist es schon fast Mittag. Ich schreibe meiner Vermieterin, dass ich krank bin und bitte sie, noch einen weiteren Tag bleiben zu können. Was glücklicherweise kein Problem ist. Ich schlafe wieder ein. Nach nicht ganz drei Wochen Fahrt mache ich jetzt meine erste Pause. Eine vielleicht unerwünschte, krankheitsbedingte Zwangspause, aber die tut richtig gut. Ich schlafe, wenn ich aufwache, trinke ich Tee mit Honig und einer Prise Salz und schlafe wieder. Mein Magen beruhigt sich langsam. Die Übelkeit vergeht. Ich hoffe, dass ich meine Fahrt morgen wieder fortsetzen kann.
TCR #21 Ans Mittelmeer
Dienstag, 27. Mai. Einen ganzen Tag lang habe praktisch nur im Bett verbracht. Nur hin und wieder konnte ich mich aufraffen, um eine Tasse Tee zu kochen. Mit ein bisschen Honig und einer Prise Salz war das mein Überlebenselixier. Über den Tag verteilt habe ich dann noch zwei Bananen gegessen. Mehr war nicht möglich.
Als ich am Morgen aufwachte, dachte ich zuerst, ich müsse noch einen weiteren Tag Pause einlegen. Doch so nett es das Appartement in Mirepoix auch war – ich wollte zumindest versuchen, weiterzufahren.



Ich packte ich meine Sachen und reparierte den Schleicher am Hinterreifen. Während ich im Bett lag war dem Reifen die Luft komplett ausgegangen. Aber kein Problem. Das Schlauchwechseln geht schließlich im Grunde ganz flott.
Dann fuhr ich langsam los Mit dem Westwind im Rücken über ein paar kleine Hügel zum Mittelmeer rollen kann doch nicht so schwer sein, dachte ich. Die restliche Strecke konnte nur noch rund 700 Höhenmeter haben. Heute fühlte es sich allerdings an, als hätte Katie nochmals um 10 Kilo zugelegt. Und meine Beine waren noch im Ruhemodus, haben erst am späteren Nachmittag einen runden Tritt gefunden.
Und mein Magen? Der rebellische Hund wurde boykottiert. Für den gab es heute am Weg nur zwei Bananen und ein paar Erdnüsse. Es waren auf der Strecke zwar immer noch einige Emergency-Stopps nötig, aber die konnte ich gut kontrollieren. Hunger bekam ich nicht.

Mit dem festen Ziel „Mittelmeer“ vor den Augen fuhr ich weiter und weiter. Der Fokus war auch nötig, denn sonst hätte ich schon lange vor der Küste Feierabend gemacht.
Dabei war die Strecke eigentlich sehr reizvoll. Hat mich zunächst, bis zum einzigen und kaum nennenswerten Pass des Tages, dem Col de la Malepere, stark an zuhause erinnert und danach an die Wachau und ein bisschen auch an das Burgenland.

Ich kam ins Tal der Aude, ein beliebtes Ziel für Hausboot-Touristen. Das hat auch nett und gemütlich ausgeschaut. Es kostet aber sicher einiges, so ein Boot auszuleihen. Und man braucht Zeit. Auf dem Rad war ich jedenfalls schneller als die Bootstouristen. Vielleicht ist das aber doch einmal etwas, in späteren Jahren. Wenn ich nicht mehr so fit bin. Dann heißt es eben schippern statt strampeln. Eine gute Zeit kann man auf so einem Boot jedenfalls sicher haben.

Ich kam auch wieder durch viele kleine Dörfer, in denen es am Nachmittag totenstill war. Es war wider einmal kein Café geöffnet, kein Shop und auch keine Tankstellen. Dabei hätte ich dann schon gerne einmal einen Kaffee oder ein Cola gehabt. Aber erst nach 17:00 kam ich in Saint-Nazaire-d’Aude an einem kleinen, geöffneten Lebensmittelgeschäft vorbei, in dem ich etwas zu trinken und eine kleine Nascherei kaufen konnte. Wie herrlich!

Irgendwann war ich dann – für mich überraschend – plötzlich in Narbonne, einer lebendigen Stadt mit vielen lachenden, gut gelaunten Menschen, die in Straßencafés saßen und die Sonne genossen. Es ist fast ein wenig befremdlich, wenn man den ganzen Tag alleine unterwegs ist, niemand hat, mit dem man reden kann, kaum einem Mensch begegnet und dann in einen belebten Ort kommt.
Am Meer war ich damit aber immer noch nicht. Und die Strecke bis dahin zog sich … am Ende des Tages bin ich aber doch gut angekommen. Am Mittelmeer. Der Campingplatz war bereits geschlossen. Doch das hinderte mich nicht daran, am Schranken vorbeizufahren und mir einen Platz zu suchen, an dem ich mein Zelt aufschlagen konnte. Dann spazierte ich noch zum Meer, wartete am fast menschenleeren Strand den Sonnenuntergang ab.
Die Ereignisse der letzten drei Wochen gingen mir durch den Kopf. Ich war, nachdem ich Spanien vom Südwesten nach Nordosten durchquert hatte, nun auch schon beinahe durch ganz Frankreich, von der Ostküste bis zur Westgrenze nach Deutschland, gefahren. Ich hatte auf meinem Weg schon so unvorstellbar viel erlebt, es war eine solch intensive Zeit – und dabei hatte ich erst ein Drittel davon hinter mir. Ich konnte nicht erahnen, was noch alles auf mich zukommen würde.
Es war schön hier am Meer. Ein viele Kilometer langer weißer Sandstrand. So hatte ich das Mittelmeer noch nie zuvor gesehen. Als es dunkel wurde, verabschiedete mich davon, auch wenn ich morgen noch eine Weile daran entlang fahren würde. Jetzt geht es zunächst einmal ins Landesinnere. Das nächste Mal am Meer wird dann an der Nordsee oder Ostsee sein. Und der Weg dorthin ist noch ganz schön weit.

Route und Daten des Tages: strava.com/activities/14613389482

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